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Die neuen Großmächte: Wie Brasilien, China und Indien die Welt erobern - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Die neuen Großmächte: Wie Brasilien, China und Indien die Welt erobern - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Titel: Die neuen Großmächte: Wie Brasilien, China und Indien die Welt erobern - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Follath
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gerade jetzt die Widersprüche der Gesellschaft besonders augenfällig: 2013 erreicht die Wirtschaft kaum das – für China sehr bescheiden angesetzte – Wachstumsziel von 7,5 Prozent. Auf der Kippe steht der unausgesprochene Deal zwischen Regierenden und Regierten: Wir sorgen für eine Steigerung des Lebensstandards und kümmern uns nicht um euer Privatleben – solange ihr euch nicht kritisch in die Politik einmischt und euch an vorgegebene strenge Regeln wie die Einkindpolitik und die Religionsausübung nur im familiären Rahmen haltet. Aber mit den gängigen Konzepten geht das nicht mehr lange – und das weiß auch die Partei. Ihre ideologische Indoktrinierungsversuche stoßen bei den jungen Leuten, die sich immer effektiver über Social Media organisieren, nur noch auf Zynismus. Vor allem weil sie sehen, wie ungeniert sich manche Kader bedienen. Und wie groß inzwischen die Kluft zwischen Arm und Reich ist.
    Ökonomisch kann die Partei den Normalbürgern nicht mehr so viel bieten wie früher: Die Wohnungen sind extrem teuer und für die neue Mittelklasse unerschwinglich, die Umweltschäden gravierend, die Lebensmittel bedrohlich verschmutzt. Die veralteten staatlichen Schwerindustrieanlagen zu schließen, wäre dringend geboten. Doch während überall Facharbeiter gebraucht werden, fehlen für die dann freigesetzten ungelernten Arbeitskräfte Jobs. Und Tausende Demonstrationen pro Jahr zeigen, dass Chinas Bürger selbstbewusst geworden sind. Noch sind solche lokalen Aufstände keine Gefahr für die Partei. Aber wenn sie sich in Grenzregionen konzentrieren, wo ohnehin »unzuverlässige« Minderheitenvölker wie Tibeter und Uiguren leben, könnten sie für die Zentrale sehr beunruhigend werden.
    Nachdem das Streben nach Kommunismus nur mehr auf dem Papier steht, die Partei als ideologische Macht weitgehend diskreditiert ist, braucht die Volksrepublik also einen neuen Kitt. Der neue starke Mann sendet 2013 gemischte Signale aus. Mal deutet Xi Jinping an, dass er ökonomische Veränderungen für nötig hält, die Privatwirtschaft weiter fördern will und auch örtlich begrenzte demokratische Wahlen tolerieren würde. Dann gibt er wieder den Hardliner, der einer militaristisch-nationalistischen Klientel das Wort redet. Er wirkt wie ein Tastender, der noch nicht weiß, wie weit er mit gesellschaftlichen Veränderungen gehen darf. Gehen will. 2013 ist sein erstes Jahr an der Macht, eine Dekade später, nach seinem Abtritt von der politischen Bühne, wird man seinen Weg erkennen, sein Vermächtnis. Ob er geschafft hat, woran in China jeder Führer gemessen wird: Der Nation das fuqiang, Wohlstand und Macht, zu verschaffen.
    2025 ist China immer noch der Motor der Weltwirtschaft. Mehr als ein Drittel des gesamten ökonomischen Wachstums bleibt der Volksrepublik zu verdanken. Das Land hat seine gegen Anfang des Jahrzehnts übernommene Stellung als größte Volkswirtschaft der Erde schnell vorangetrieben. China hält aber auch andere, weit weniger erstrebenswerte Rekorde: Das Land hat trotz verstärkter Bemühungen in Sachen Umweltschutz seine Stellung als größter Verschmutzer weiter ausgebaut. Auch im Jahr 2025 liegt der Anteil der Kohle bei der Stromerzeugung noch über 60 Prozent, die Abhängigkeit von Erdöl- und Erdgaseinfuhren ist von 6 Prozent auf über 20 Prozent gestiegen – kein anderer Staat muss so viel importieren.
    Die Arbeitsbedingungen in den großen Fabriken haben sich 2025 dank der geduldeten Selbstorganisation der Beschäftigten auf lokaler Ebene verbessert. In der Hochtechnologie hat China Erstaunliches geschafft, ohne freilich die Kreativität der amerikanischen und europäischen Erfinder auch nur annähernd erreichen zu können: Die entscheidenden technologischen Durchbrüche erfordern offensichtlich einen völlig freien Fluss von Ideen. Aber die demografische Entwicklung hat das Land in voller Härte getroffen. Zwar dürfte die Partei schon im Jahr drei nach Xis Amtsantritt die unselige Einkindpolitik gestoppt und auch das Hukou-System mit seiner Wohnsitzkontrolle aufgehoben haben, aber es dauert, bis diese neue Flexibilität für den Arbeitsmarkt wirklich greift. China ist 2025 längst an einer Wasserscheide angekommen. Es kann nicht mehr die Fabrik der Welt sein, sondern muss die nächste Stufe der wirtschaftlichen Entwicklungsleiter erklimmen – ein schmerzlicher Prozess.
    Die mehr als 200 Millionen Wanderarbeiter waren noch Anfang des Jahrhunderts ein großes Plus für die Wirtschaft der

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