Die neuen Großmächte: Wie Brasilien, China und Indien die Welt erobern - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
nicht gerade eine Schönheit, aber die Aussteuer stimmt. Wie die hässliche Tochter eines Herrschers muss sie sich keine Sorgen um Verehrer machen, muss sich vor den ungebetenen sogar schützen.« 1553 erhielt Schanghai die kaiserliche Genehmigung zum Bau einer Stadtmauer. Gegen die aggressiven Kaufleute aus dem Westen half das auf die Dauer nicht. Gegen Männer wie den Schotten William Jardine, die »eisenköpfige Ratte« genannt, die ihre Fregatten bald mit schweren Kanonen bestückten. Die süchtig waren nach Seide und Tee, und skrupellos genug, die Chinesen mit immer neuen Ladungen Opium zu vergiften. Bald überholte die Droge die klassischen Silberbarren als Zahlungsmittel. Das hatte den erwünschten Nebeneffekt, die Asiaten und ihre Widerstandskraft auch körperlich zu schwächen. 1842 setzten die fremden Herren gegen den Willen der gedemütigten Einheimischen die Öffnung Schanghais für den internationalen Handel durch. Franzosen und Amerikaner bauten ihre »Konzessionen« und pferchten die Einheimischen schließlich in einem ummauerten »Chinesenviertel« zusammen.
»Paris des Ostens«, »Paradies der Abenteurer«, »Prostituierte Asiens« – bewundernd und schaudernd, abstoßend und anziehend klingen die Beinamen, die man dieser Stadt gegeben hat. In den Zwanziger- und Dreißigerjahren des vergangenen Jahrhunderts war sie Synonym für Sex und Sünde, für unermesslichen Reichtum wie für schier unfassbare Ausbeutung. Sie wurde zu einem westöstlichen Bastard mit großartigen Bauwerken, modernen Geschäftszentren, Tanzpalästen, Bordellen und Opiumhöhlen. Ein Ort mit vielen Gesichtern – eines davon trägt das Antlitz der Kommunistischen Partei. Am 23. Juli 1921 fanden sich hier, in diesem Meer des Manchester-Kapitalismus und seiner heftigen Ausschweifungen, in einem Hinterzimmer unter Mao Zedongs Führung ein von Moskau entsandter Komintern-Agent und zwölf einheimische Revolutionäre zu einer Geheimsitzung zusammen. Die Linken blieben auch nach ihrer Parteigründung zunächst nur eine verschwindende Minderheit, wurden nach ihren ersten erfolgreichen Streikaufrufen blutig verfolgt, während die fremden Herren und ihre chinesischen Kollaborateure prassten und herumhurten und das Land in den Bürgerkrieg trieben. Ein Gangster wie der geheimnisvolle »Pockennarben-Huang« wurde in der Französischen Konzession sogar zum Geheimdienstchef erhoben und sorgte mit seinen Triaden für eine grausame Ordnung.
Der unumstrittene Boss aller Mafiabosse aber war Du Yuesheng, wegen seiner eigenwilligen Gesichtszüge auch »Riesenohr-Du« genannt. Der Aufsteiger aus den Slums schoss sich seinen Weg an die Verbrecherspitze frei, kontrollierte Prostitution, Glücksspiel und Opiumhandel. Und war darum auch für die einflussreichen Ausländer ein wichtiger Geschäftspartner, der heimlich und ganz im Sinn der Schanghaier Bourgeoisie dem Nationalistengeneral Chiang Kai-shek bei seinem Kampf gegen die Kommunisten helfen konnte. Im Februar 1927 stürmten Zehntausende Arbeiter die Polizeiwachen, im März geriet dann ein Großteil der Stadt unter die Kontrolle der von der KP koordinierten Streikenden. Chiangs Eliteeinheiten richteten mithilfe britischer und japanischer Streitkräfte ein Blutbad unter den Protestierenden an. »Köpfe rollten durch die Rinnen der Straßen wie reife Pflaumen«, berichtete ein angewideter Zeuge.
Das große Schlachten ging als »Schanghai-Massaker« in die Geschichtsbücher ein. Riesenohr-Du profitierte von der Nacht der langen Messer. Der Generalissimus Chiang höchstpersönlich beförderte ihn zum »Generalmajor« der Nationalisten und verschaffte dem Mann aus der Unterwelt, wonach er am meisten gierte: Anerkennung und Respekt. Der Gangster diversifizierte seine Geschäfte. Er kaufte sich in Banken ein, stiftete Hospitäler und Schulen und wurde sogar zum Chef des lokalen Roten Kreuzes – ein Mafioso als guter Mensch von Schanghai. Doch gelegentlich fiel er in alte Gewohnheiten zurück, vor allem wenn er sich verraten fühlte, wie im Fall des französischen Generalkonsuls, den er bei einem gemeinsamen Galadinner vergiften ließ. In seinem Apartmenthaus mit dem vielsagenden Namen The Happy Times verwöhnte er anschließend noch ungestörter Lokalgrößen mit Champagner und den hübschesten Mädchen der Stadt. Schanghai in den Dreißigerjahren: Das war ein brodelnder Vulkan, eine Metropole, zerfressen von Sucht und Gier und gleichzeitig enorm erfolgreich. Ein Paradies für Unternehmer, die hier
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