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Die neuen Großmächte: Wie Brasilien, China und Indien die Welt erobern - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Die neuen Großmächte: Wie Brasilien, China und Indien die Welt erobern - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Titel: Die neuen Großmächte: Wie Brasilien, China und Indien die Welt erobern - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Follath
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ungeheure Gewinne machten und immer neue Prachtbauten als Firmenquartiere hochzogen. Ein Eldorado der Möglichkeiten, aber auch ein Ort der schroffen, empörenden Gegensätze. Die Arbeiter schufteten in fensterlosen Fabriken, 14 Stunden am Tag, oft ohne jegliche Sicherheitsvorkehrungen, und auch Kinder standen an den Maschinen. Manche starben an den giftigen Dämpfen, andere wurden von Krankheiten und Erschöpfung dahingerafft. Die durchschnittliche Lebenserwartung lag bei 27 Jahren. Ausgemergelte Kulis strampelten sich zu Tode, während auf der anderen Seite des Boulevards der Dämmerung die Reichen in Samt und Seide defilierten, sich importierten Portwein und Foie Gras gönnten. Das Betreten des Parks am Bund war »Schlitzaugen« untersagt, hier stand das legendäre Schild: »Für Hunde und Chinesen verboten!«
    Schanghai konkurrierte mit Rio und Berlin um den Titel der Vergnügungsmetropole der Welt. 668 Bordelle zählte die Stadt in dieser Zeit, was sie zumindest in dieser Statistik zum Spitzenreiter machte – in Berlin prostituierte sich damals eine von 580 Frauen, in Schanghai war es eine von 130. Zwischen all den »Sing-Song-Girls« und »Salzwasser-Schwestern«, oder wie sich die Dirnen sonst noch nannten, soll ein verzweifelter christlicher Missionar damals aufgestöhnt haben: »Wenn Gott dieses Schanghai gewähren lässt, schuldet er Sodom und Gomorrha Abbitte.«
    Gott ließ nicht, würden Gläubige sagen. Er bediente sich ausgerechnet der Kommunisten, um die Sündige an die Kandare zu nehmen. Die Revolutionstruppen Mao Zedongs eroberten 1948 die Schanghaier Hochburg der Dekadenz. Junge Bauernburschen, die nie einen Tanzpalast oder ein Bordell von innen gesehen hatten und von denen die allermeisten nicht wussten, was eine Toilettenspülung ist, befreiten die verzweifelte Stadt von den Nationalisten Chiang Kai-sheks, die nach den japanischen Bombenangriffen von 1937 und der brutalen Besatzung durch die Soldaten des Tenno eine eigene Schreckensherrschaft errichtet hatten. Die Kommunisten enteigneten Geschäfte und Bars, schlossen die Opiumhöhlen und Freudenhäuser, schickten die Drogenabhängigen und Prostituierten zur Umerziehung aufs Land. Fabrikanten und Großgrundbesitzer, so sie sich nicht rechtzeitig davongemacht hatten, wurden von den neuen Herrschern exekutiert oder ins Gefängnis geworfen. Schanghai hatte, wie es schien für immer, seine Tanzschuhe weggeworfen. Es war vom Sündenbabel zum Puritanertraum geworden, ein Exerzierfeld für Mao und seine Ideen vom gleichgeschalteten »neuen Menschen«. Aber war es zur Durchsetzung einer gerechteren Gesellschaftsordnung wirklich nötig, Menschen zu exekutieren, gemäß dem Wort des Großen Vorsitzenden: »Eine Revolution ist kein Deckchensticken, kein Gastmahl, sondern erfordert Blut«? Glaubten die Schanghaier an die neue Ideologie oder passten sie sich nur zwangsweise den Vorstellungen der KP an? Verachteten die mondänen Städter die Bauernrevolutionäre heimlich oder bewunderten sie deren Rigorosität – und sahen sie sich weiter, im Guten wie im Schlechten, als Avantgarde der Welt?
    In den späten Sechziger- und in den Siebzigerjahren tobte dann die Kulturrevolution in dieser Metropole, womöglich noch schlimmer als anderswo. Lehrer wurden von ihrern Schülern in Narrenkappen durch die Straßen gezerrt, Pianistinnen wurde wegen ihrer »frivolen, Ausländer anbetenden« Musik die Finger gebrochen, Kampfgrillen zu halten – das Lieblingstier der Schanghaier – war ebenso streng verboten wie das »bourgeoise« Tanzen oder Ballett; außer einem knappen Dutzend revolutionärer Pekingopern galt Musik insgesamt als frivoler, strafwürdiger Zeitvertreib. Und selbst noch 1976, als der Große Vorsitzende bereits im Sterben lag, hatte sich die »linke«, besonders rigorose Viererbande um seine Frau Jiang Qing Schanghai zu ihrem Hauptquartier gemacht. Sich in das alte Peace-Hotel eingenistet, es für Gäste gesperrt und zu ihrem Hauptquartier gemacht: Schanghai, ihr Laboratorium für die Zukunft, für eine bedürfnislose, freudlose, den neuen Parteimenschen formende Zukunft. Die Stadt war kaum zugänglich für Fremde. Jedenfalls nicht aus dem Westen, jedenfalls dann, wenn sie nicht Abgesandte bestimmter kommunistischer Sympathisantengruppen waren. Und schon gleich off limits für unabhängige Journalisten, denen regelmäßig Visa verweigert wurden. Wie also dahinkommen?
    Dass ich Schanghai in diesen Tagen besuchen konnte – kurz nach dem Tod Maos, im

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