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Die neuen Großmächte: Wie Brasilien, China und Indien die Welt erobern - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Die neuen Großmächte: Wie Brasilien, China und Indien die Welt erobern - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Titel: Die neuen Großmächte: Wie Brasilien, China und Indien die Welt erobern - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Follath
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ihn in der Regel gegenüber der Verwandtschaft auch ablehnen.
    All das heißt aber nicht, dass die Filme von allen in dem gleichen Ambiente gesehen werden. An den Kassen gibt es Klassenunterschiede. Im vornehmen 3-D-Kino von Bandra kostet die Karte umgerechnet fünf Euro. Hier führt der aufstrebende Jungmanager seine Freundin zu den neuesten Hochglanzproduktionen aus, beeindruckt sie mit einem Drink oder einem Abendessen vorher, mit einer Einladung zur Disco nachher. Im schäbigen alten New Roshan-Kino des Rotlichtbezirks Kamthipura, abblätternde Wände und Geziefer zwischen den zerschlissenen Stühlen, kostet die Karte gerade mal 50 Cent, und es laufen Zusammenschnitte vorgestriger Streifen: Ausgehmöglichkeit für die Ärmsten. Und für all die jungen Männer, die nicht genug Geld haben, eine Begleitung zu beeindrucken, gibt es billigen Sex gleich nebenan. Besonders an der Falkland Road haben die Bordelle eine traurige, bereits hundert Jahre lange Tradition: Hier hatten schon die britischen Kolonialisten ihre Bombayer »Comfort Zone«. Heute sind es vor allem junge Nepalesinnen, die grell geschminkt und mit weit ausgeschnittenen Kleidern ihre Körper anbieten. Viele wurden aus ihren Dörfern verschleppt oder von ihren Familien verkauft und unter falschen Versprechungen hierher gelockt. Besonders berüchtigt waren in den vergangenen Jahrzehnten die »Käfige«, in denen sich die von ihren Zuhältern streng überwachten Frauen präsentieren mussten. Es gibt diese Käfige noch, hinter deren Gitter sich auf engstem Raum der schnelle Sex abspielt. Aber es sind weniger geworden in letzter Zeit, und nach Untersuchungen von Menschenrechtsorganisationen ist durch intensive Aids-Aufklärungsprogramme im Rotlichtdistrikt auch die Infizierungsrate zurückgegangen. Sozialarbeiter konnten die Frauen überzeugen, bei ihren Freiern auf die Benutzung von Kondomen zu bestehen. Ausgehändigte Billighandys mit einer Notruftaste sollten den Prostituierten einen zusätzlichen Schutz vermitteln.
    Die Presse in Bombay hat das als großen Erfolg gewertet – und doch ist der Fortschritt bei näherer Betrachtung ein zweischneidiges Schwert. Denn ausgerechnet die gut gemeinte Handy-Versorgung ist gerade dabei, Aids wieder zu verbreiten. Viele der Prostituierten verabreden sich nämlich inzwischen mit den Männern in Billighotels oder deren Zimmern. Außerhalb des kontrollierten Rotlichtdistrikts aber verlangen die immer häufiger ungeschützten Sex – und die Frauen gehen wegen der höheren Bezahlung auch darauf ein: Mobilität und Moderne führen in diesem Fall zu Rückschritt.
    Wenn sich die Kinos geleert haben, nimmt auch das Nachtleben im vornehmen Teil der Stadt Fahrt auf. Beispielsweise im Tryst, untergebracht auf dem ehemaligen Fabrikgelände der Phoenix Mills. »Futuristisches Interieur, Hightech, 16 Millionen Farben, jeder Tisch mit einem eigenen Butler« wirbt der Club; Minimum-Verzehr am »King Table«, in der Mitte des Tanzbereichs und gleichzeitig hoch über ihm gelegen, sind tausend Euro. Auch im Trilogy (Animateure in Federboas und Wassermelonen-Martinis!) oder dem China House (Wi-Fi-Verbindungsstationen an der Bar für die Schüchternen, um die Damen gegenüber anzusprechen!) wird keiner der äußerst betuchten Gäste fürchten müssen, von der Polizei gestört zu werden: Hier haben die Betreiber offensichtlich Deals mit den Parteioberen geschlossen. Aber bei den Clubs in der zweiten Reihe, etwa dem Big Nasty, sind die Zahlen in letzter Zeit ziemlich zurückgegangen. Denn hier führt ein ominöser Polizeiinspektor mit dem Spitznamen »Killjoy« (»Freudentöter«) neuerdings nach Mitternacht häufig Razzien durch – und verlangt Lizenzen, von denen keiner gewusst hat, das man sie braucht. Beispielsweise eine Erlaubnis für die Beschäftigung eines DJ oder ein Drinking Permit für Alkohol. Oder er moniert die fehlende Anzahl von Parkplätzen vor dem Lokal. Das führt immer wieder zu kurzfristigen Schließungen, zu Personalüberprüfungen der Gäste – alles andere als eine gute Werbung für eine Tanznacht. »Aber irgendwann werden wir auch dieses Problem im Griff haben«, sagt einer der Disco-Eigentümer, der ungenannt bleiben will. »Denn es ist alles eine Frage des Preises. Inspektor Killjoy und seine Männer verdienen ja in der Woche nicht mehr, als bei uns vier Drinks an der Bar kosten. Kaum jemand in dieser Stadt kann es sich leisten, nicht bestechlich zu sein.«
    Halb drei Uhr morgens. Gearbeitet wird noch im

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