Die neuen Großmächte: Wie Brasilien, China und Indien die Welt erobern - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
Fotos: Xi Jinping, Arm in Arm mit ihm. »Er war freundlich, hilfsbereit, aber auch einsam«, sagt Lü. Der Junge aus Peking habe bei Kerzenschein die Nächte durch gelesen, Marx und Mao, »etwas anderes gab es damals ja nicht«. Es ist eine höchst bescheidene, drei mal vier Meter große Bleibe, in der Jinping damals wohnte, sie dient heute als Rumpelkammer. Der Kadersohn, aufgewachsen in einer privilegierten Pekinger Umgebung, hat schon in jungen Jahren schmerzlich erleben müssen, wie schnell und tief man im Mao-Reich fallen konnte. Der Vater, lange Zeit Chef der Propagandaabteilung der KP , wurde vom Großen Vorsitzenden wegen »Rechtsabweichung« zur Fabrikarbeit degradiert; da war Jinping zehn. Er ist 15, als der Vater während der Kulturrevolution dann sogar ins Gefängnis wandert.
Die Partei verbannt den Jugendlichen aufs Land, er hat bei Bauern wie Lüs Eltern die Ställe auszumisten. Im Rückblick hat Xi Jinping über die ungewöhnlich harte körperliche Arbeit gesagt: »Es war eine Zeit der Experimente, lehrreich für mich, für die Nation insgesamt ein Fehlschlag.« Die Strenge des Elternhauses auch in privilegierten Zeiten dürfte ihm geholfen haben, die Entbehrungen zu ertragen: Er musste daheim die gebrauchte Kleidung seiner Schwestern auftragen, färbte deren rosa Schuhe schwarz, um sich nicht zu blamieren.
Sechs Jahre geht das so mit der ländlichen Arbeitsfron. Er will raus, Karriere machen, dafür ist er bereit, auch Kompromisse mit den Peinigern seiner Familie zu machen. Und so schreibt Xi Jinping Antrag auf Antrag, um in die Partei aufgenommen zu werden. Nummer elf wird genehmigt. Mit 22 Jahren darf der Ehrgeizige zurück nach Peking, an der renommierten Tsinghua-Universität studieren. Chemie, Jura und Marxismus, eine merkwürdige Mischung. Aber der Abschluss ermöglicht ihm, eine Stelle bei der Militärkommission zu finden. Bestens vernetzt in der KP wie in der Armee, kann Xi Jinping weiterplanen. Kompetent, umsichtig, nicht aneckend. Zu seinem Jugendfreund hat er auch danach Kontakt gehalten, ließ ihm angeblich sogar Geld für eine Operation zukommen. »Er ist eine treue Seele«, sagt Lü, der sich dafür entschuldigt, keine sonstigen Details erzählen zu dürfen, strengster Befehl aus der Hauptstadt. »Er erkundigt sich noch immer regelmäßig nach mir. Er ist einer, der sich nicht verbiegen lässt.«
Peking, Prominentenstadtteil Haidian, Kaderanstalt »8-1«. Wer hier zur Schule geht, sagen die Leute in den Fünfzigerjahren ehrfürchtig, lerne »am Hofe Maos«. Bo Xilai, Sohn des legendären KP -Mitbegründers und Finanzministers Bo Yibo, gehört zu dieser Elite, die in einem nur Funktionärsfamilien vorbehaltenen Swimmingpool baden darf und an knappe Lebensmittel wie Vollmilch, Schokolade und Entenfleisch herankommt. Ob der junge Mann den späteren Konkurrenten Xi Jinping schon damals kennengelernt hat, ist unbekannt. Möglich wäre es, denn der war an der Schule nebenan, vier Klassen unter ihm.
Bo Xilai aber ist ein anderer Typ, kein Austarierer, sondern ein Abenteurer. Als die Kulturrevolution losbricht, ist er 17 und stellt sich begeistert an die Spitze der Roten Garden, die mit Billigung des Großen Vorsitzenden ihre Schulen zerstören und alle Autoritäten niedermachen dürfen. Zeitgenossen berichten, der aufgeputschte junge Mann habe bei einer Massenveranstaltung sogar seinen Vater denunziert. Die Mutter wird von Roten Garden totgeprügelt, der Vater ins Gefängnis geworfen und gefoltert. Bo Xilai nutzt sein Verhalten nichts, er muss für das angeblich unkommunistische »Rechtsabweichen« seiner Sippe mit büßen. Fünf Jahre schmachtet er im Gefängnis und Arbeitslager, danach folgt die Zwangsarbeit in einer Fabrik. Er ist schon 29, als sich die Geschicke wenden, die Familie rehabilitiert wird. Der Vater steigt wieder zum Vizepremier auf und verzeiht offensichtlich seinem Sohn, er protegiert ihn jedenfalls. Bo Xilai darf studieren. Er wählt als Fachgebiet nicht wie so viele andere spätere Spitzenkader Ingenieurwissenschaften, sondern Geschichte und Journalismus. Und er bekommt schon früh einen intimen Blick ins Zentrum der Macht: Sein erster Job führt ihn gleich hinter die Mauern von Zhongnanhai. Bo Xilai arbeitet dort als Sekretär im Büro des Zentralkomitees der Partei. Dem Ort, dem fortan all seine Träume – und all seine halsbrecherischen Winkelzüge – gelten.
Xiamen, reiche Hafenstadt in der Provinz Fujian, von den Ming-Kaisern gegründet, von den Briten in den
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