Die neuen Großmächte: Wie Brasilien, China und Indien die Welt erobern - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
wachsende Kluft zwischen Arm und Reich, Stadt und Land zu schließen versuchen. Er glaubt, das vor allem mit der Ankurbelung des heimischen Konsums erreichen zu können.
Die bisher so glänzende Bilanz der Volksrepublik hat in den letzten Monaten heftige Kratzer bekommen: Das Wirtschaftswachstum betrug im Jahr 2012 nur 7,8 Prozent, der niedrigste Wert seit Langem. Und für 2013 hat sich die Partei gerade noch 7,5 Prozent als Ziel gesetzt – was fast überall sonst auf der Welt ein Traumwert wäre, gilt in der Volksrepublik als Minimum, um wenigstens einigermaßen ausreichend neue Jobs zu schaffen. Die Banken klagen über eine schlimme Liquiditätskrise.
Ideologisch möchte die neue Führung die Reihen gern geschlossen halten. Xi versammelt als eine seiner ersten Amtshandlungen das gesamte neue Politbüro bei einer Ausstellung mit dem programmatischen Titel »Der Weg zur nationalen Wiedergeburt«. Er wirbt für Harmonie und die Renaissance des »chinesischen Traums«. Der Begriff bleibt schwammig, nur so viel ist klar: Anders als der amerikanische Traum, bei dem es um den individuellen Erfolg geht, steht bei seinem fernöstlichen Widerpart das Kollektive im Vordergrund, der Patriotismus und die nationale Würde. Die Formulierung soll offensichtlich die Größe und Erfindungskraft des klassischen Reichs der Mitte beschwören, Opferbereitschaft und Kreativität in Erinnerung rufen, die so große und bahnbrechende Erfindungen wie den Kompass, die Herstellung von Papier und des Gewehrpulvers ermöglicht haben. Und im chinesischen Traum sollen sich wohl auch abschreckend die chinesischen Traumata widerspiegeln, die Unterdrückung durch westliche Imperialisten und die Demütigung durch japanische Invasoren. So etwas drohe immer und dürfe doch nie wieder passieren, suggeriert der Parteichef und Staatschef in Personalunion. Damit begründet er indirekt auch die Aufrüstung, die gewachsene Rolle des Militärs.
Anders als sein Vorgänger hat Xi Jinping mit seinem Amtsantritt auch gleichzeitig den Vorsitz der Militärkommission übernommen. Er ist bestens vernetzt unter den Generalen, eine große Anzahl hat er in den vergangenen Jahren selbst ernannt. Die Steigerung des Militärhaushalts um stolze 10,7 Prozent, vom Volkskongress Ende 2012 abgesegnet, passt da bestens in Bild (wobei man allerdings wissen muss, dass das US -Militärbudget immer noch fast fünfmal höher ist). Sie geht einher mit einer immer selbstbewussteren chinesischen Außenpolitik. Xi Jinping macht kein Hehl daraus, dass er die zunehmende amerikanische Präsenz im Pazifik mit äußerstem Misstrauen verfolgt, manche in seinem Umfeld sprechen von einer »strategischen Einkreisung« durch die USA . Als Beleg dafür gilt, dass die Navy bis zum Jahr 2020 rund 60 Prozent ihrer Kriegsschiffe im Pazifik stationieren will – weit mehr als im Atlantik und auch im Persischen Golf. Dem gilt es entgegenzuwirken. Im Streit mit Japan um eine möglicherweise erdölreiche Inselgruppe im Ostchinesischen Meer, die unbewohnten Senkaku-Eilande (chinesisch: Diaoyu), gibt der neue starke Mann von Peking nicht nach, ebenso wenig wie bei den weiter südlich gelegenen Spratly-Inseln, die neben China auch Vietnam und die Philippinen beanspruchen. Der KP -Chef weiß, dass die weltpolitische Rolle der Volksrepublik gewachsen ist, dass in kaum einem »heißen« Konfliktherd der Welt mehr eine Lösung ohne seine Mithilfe möglich ist: Die Volksrepublik ist der einzige Staat, der wesentlichen Einfluss auf das aggressiv-unberechenbare Regime in Nordkorea hat und diesen auch – sehr dosiert – einsetzt. Peking kann auf die Atommacht Pakistan einwirken und zur Befriedung Afghanistans beitragen. Mit seinem Veto im Weltsicherheitsrat vermag Peking wahrscheinlich auch, den Konfliktherd Nahost schlichten zu helfen.
Xi kann die Muskeln spielen lassen. Allerdings sieht sich der chinesische Staatschef trotz der Einweihung eines neuen Flugzeugträgers nicht nur in einer Position der Stärke. Er hält China ganz im Gegenteil für äußerst verwundbar: Die meisten Tanker mit den für das Land überlebenswichtigen Erdöllieferungen kommen durch ein schwer zu sicherndes maritimes Nadelöhr, die Straße von Malakka; und die Herkunftsländer dieser Ressourcen im Nahen Osten befinden sich in einem politischen Aufruhr, der Voraussagen über ihre Zuverlässigkeit schwierig macht. Zudem macht die »Arabellion« der KP -Führung wegen eines möglichen Nachahmungseffekts im eigenen Land große Sorgen. Xi
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