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Die neuen Großmächte: Wie Brasilien, China und Indien die Welt erobern - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Die neuen Großmächte: Wie Brasilien, China und Indien die Welt erobern - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Titel: Die neuen Großmächte: Wie Brasilien, China und Indien die Welt erobern - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Follath
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der ideale, überall einsetzbare Puffer, werden künftig eher zu einer Belastung für den Staat – Chinas Aufstieg durch immer neue, teurere Infrastrukturprojekte stößt längst an seine Grenzen.
    Atrophy and Adaptation heißt der Untertitel des neuen Buchs, das der amerikanische Politikwissenschaftler David Shambaugh über Chinas KP geschrieben hat. Das Verblüffende ist seiner Meinung nach: Die Auszehrung und die Anpassungskunst der Partei, zwei gegensätzliche Tendenzen, schreiten gleichzeitig voran. »Manche Beobachter sagen langfristig einen Kollaps des Systems voraus, einige prophezeien eine längere Stagnation, wieder andere glauben, Zeichen eines echten Reformprozesses zu sehen.« Ein erfolgreiches Durchlavieren der chinesischen KP erscheint als die wahrscheinlichste Zukunftsentwicklung.
    Wenig deutet daraufhin, dass die Führung der Volksrepublik Patentrezepte für die Zukunft hat oder auch nur besonders gut für die kommenden Herausforderungen gewappnet ist. Aber die Skeptiker, die der KP Chinas das Unmögliche nie zutrauten, haben sich bis jetzt immer eines Besseren belehren lassen müssen. Die Partei-Bosse schafften fast noch jede abenteuerliche Volte, und wenn es denn Mao-paradox sein musste: Der Große Vorsitzende wurde von manchen einfach umfunktioniert, zum Vorbild der Globalisierung, zum Großen Vorstandsvorsitzenden.
    Womit also lässt sich diese seltsame Partei, diese bewundernswerte, hassenswerte Institution mit quasi religiösem Anspruch, teils verknöchert, teils reformwillig, zwischen Repression und Anerkennung von Pluralismus schwankend, denn überhaupt vergleichen? Am ehesten mit der katholischen Kirche, fand ein inoffizieller Abgesandter der chinesischen KP bei seinem Besuch im Vatikan heraus (so wird es jedenfalls von dem stets gut unterrichteten China-Kenner Richard McGregor kolportiert). »Wir haben die Propagandaabteilung, und ihr habt die Verkünder des Evangeliums. Wir haben unsere Organisationsabteilung, ihr das Kardinalskollegium.« Worin er denn die Unterschiede sehe, fragte der Vatikan-Vertreter dann den KP -Mann. Der entgegnete zur allgemeinen Verblüffung und Heiterkeit: »Euch hat Gott geschickt, uns der Teufel.«
    Meine Erinnerungen an Peking reichen in die späten Siebzigerjahre zurück, und sie kreisen häufig um zwei ganz besondere Parteimitglieder, die ich damals – beide hochbetagt – kennenlernen durfte, Zeugen eines anderen, alten China und auch Repräsentanten des dramatischen Wandels, den dieses Land durchgemacht hat. Der eine wäre mal fast Kaiser geworden, der andere diente dem alten Reich als Eunuch. Beide kannten die große Ansammlung von Palästen und Pavillons im Zentrum schon von innen, als die »Verbotene Stadt« noch verboten war. Als dort regiert und Geschichte geschrieben wurde.
    Genosse Pu Jie war bei meinen Besuchen trotz seiner weit über siebzig Jahren noch sehr rüstig. Er wohnte in einem dieser engen Hutongs, wie die traditionellen Gässchen mit ihren Siheyuan-Innenhöfen heißen. Eine bescheidene Bleibe im Westen der Stadt, wo sich die genormten Wohnblocks damals noch nicht vorgefressen hatten. Aber Pu Jie hätte sich niemals beklagt. Das lag in seinem Naturell – oder an seiner anerzogenen politischen Geschmeidigkeit. Er liebte es, mit seiner wuscheligen Katze zu spielen und sich von seiner Frau mit Tee und Plätzchen verwöhnen zu lassen, kurz: das kleine private Glück zu genießen. Als Spross der kaiserlichen Familie hatte er ein sehr bewegtes, manchmal auch sehr öffentliches Leben hinter sich. Seinen ein Jahr älteren Bruder Pu Yi hat er von 1908 bis 1911 noch auf dem Thron der Mandschus erlebt. Trotz dessen formeller Abdankung konnten sie bis 1924 im Palast bleiben. Nach der Flucht begannen sie dann mehr oder weniger notgedrungen mit den Japanern zu kollaborieren. Pu Jie wäre Mitte der Dreißigerjahre fast selbst Herrscher von Japans Gnaden geworden, in dem Marionettenstaat Mandschukuo. 1945 geriet er mit seinem Bruder in russische Gefangenschaft, 1950 wurde er an das revolutionäre China ausgeliefert, befürchtete, hingerichtet zu werden. Doch Mao wollte »die Krankheit bekämpfen, um den Patienten zu retten«. Er begnadigte die beiden. Elf Jahre blieb Pu Jie in einem Umerziehungslager. Dann kam er frei. Er war vorgesehen als Propagandawerkzeug, sollte von der Großzügigkeit der neuen Herren und der Überlegenheit des neuen Systems erzählen.
    Pu Jie zupfte das Spitzendeckchen über dem neuen Fernseher zurecht, er hatte viele Jahre nach

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