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Die Neuen - Herz des Gladiators - Nachbars Garten

Die Neuen - Herz des Gladiators - Nachbars Garten

Titel: Die Neuen - Herz des Gladiators - Nachbars Garten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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Schon in den letzten Tagen waren seine Quoten in den Keller gegangen, und wer heute auf ihn setzte, hatte definitiv zu viele Drogen intus.
    Zusammen mit dem Türken, der sich Dschingis Khan nannte, hatte Gorgon am meisten Muskeln zu bieten. Sein Brustkorb war ein monströses Gebilde, das er heute balancierte wie einen Panzer, der nicht zu ihm gehörte. Er war zudem gut zwei Meter groß. Nur Mr. Bigman übertraf ihn in der Körpergröße, ein unförmiger, schlecht trainierter Fettberg, zwar fast nicht umzuwerfen, aber auch unfähig zu einem echten Angriff. Gorgon hatte früher regelmäßig gegen ihn gewonnen – in den letzten Wochen jedoch war der Spieß umgedreht worden. Unter dem Einfluss des Grippevirus war er zu einer matschigen Tomate geworden. Seine letzten sechs Kämpfe hatte er verloren, ehe er recht begriff, was geschehen war.
    Für die Gladiatoren, wie die Besucher sie gerne nannten, gab es nur eine Handvoll Regeln. Waffen waren verboten, alle Kampftechniken erlaubt, der Gegner durfte allerdings nicht zum Krüppel geschlagen oder getötet werden. Kleinere Verletzungen wie Knochenbrüche und Fleischwunden gehörten zum Berufsrisiko. Und noch eine Regel hatte der Indianer aufgestellt: Es war unter Strafe verboten, sieben Mal hintereinander zu verlieren.
    „Was passiert, wenn jemand sieben Mal verliert?“, hatte sich Gorgon erkundigt.
    „Du siehst es, sobald es geschieht“, hatte die Antwort gelautet. Der Mann mit der schlaffen, fahlweißen Haut und dem schwarzen Cowboyhut sah nicht aus wie ein Indianer, und Gorgon hatte nicht zu fragen gewagt, woher sein Spitzname stammte.
    Seit Gorgon zu der Truppe gehörte (und das waren jetzt immerhin drei Monate) hatte niemand die Regel gebrochen. Sogar Stick, der hagere Kerl mit dem Pferdegesicht, hatte es immer irgendwie geschafft, nach fünf oder sechs Niederlagen in Folge einen Sieg zu landen. Glück – etwas anderes konnte es nicht sein.
    Sticks Visage verformte sich beinahe wie Knetmasse, wenn er Schläge abbekam, und er musste eine Menge einstecken. Die meiste Zeit über war sein Gesicht ein verschwollenes Etwas, von blauen, grünen und gelben Flecken übersät und durch Kratzwunden verunstaltet. Schon vier Zähne hatte man ihm ausgeschlagen, und seine Nase war zweimal gebrochen. Er war der Prügelknabe, und jeder wunderte sich, warum er nicht aufhörte – durch seine häufigen Niederlagen verdiente er ohnehin kaum genug, um sich zu ernähren. Aber für Stick schien es nichts anderes als diese Kämpfe zu geben. Wenn ihn jemand ansprach, sagte er, dass er mit jedem Kampf stärker werde und eines Tages ein Gewinner sein würde. Er glaubte tatsächlich daran. Er war wie diese dünnen Bücherwürmer, die mit Siebzehn zum ersten Mal ins Bodybuilding-Studio gingen und sich einbildeten, ein Mr. Universum zu sein, ehe das Gymnasium zu Ende war und sie das hübsche Mädchen aus der Bank vor ihnen für immer aus den Augen verlieren würden. Stick hatte einfach nicht die biologischen Anlagen für Muskelwachstum, um ihm fehlte auch alles andere, was einen guten Kämpfer sonst ausmachte: Schnelligkeit, Geistesgegenwart, Überblick.
    Gorgon war sicher, dass er selbst heute Nacht derjenige sein würde, der die Regel brach. Vor seinen letzten sechs Duellen hatte er sich besser gefühlt als heute, und trotzdem hatte er sie alle verloren. Noch wusste er nicht, gegen wen er antreten würde, aber falls es nicht die gefrorene Ratte war, hatte er keine Chance.
    Er war ganz am Ende des Parkplatzes bei einem weißen Mercedes angelangt und hatte Lust, sich auf die Motorhaube zu werfen und zu sterben. Etwas hämmerte von innen gegen seine Schädeldecke, als unternehme sein Gehirn einen Ausbruchversuch, und das Blickfeld rutschte immer wieder vor ihm weg wie ein glitschiges Stück Seife. Die eiskalte Schweißschicht auf seinem Körper schien das Gefühl vorwegzunehmen, das der Griff des Todes in Kürze auslösen mochte. Seine dunklen Haare hingen ihm in Zöpfen bis über die Schultern hinab, und es bildeten sich kleine Eiszapfen daran.
    Ein automatischer Fensterheber ließ ein Fenster herabschnurren, und ein alter Mann mit müdem Blick sah heraus. Er hatte die Hand gehoben, um Gorgons Körper zu berühren, wie es die Zuschauer manchmal taten, einfach nur, weil sie wussten, dass sie es durften. Doch als er die Schweißschicht darauf glänzen sah, zog er seine faltigen Finger zurück. „Du bist krank, Junge.“
    „Setzen Sie lieber nicht auf mich“, war alles, was Gorgon sagte. Er

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