Die Neuen - Herz des Gladiators - Nachbars Garten
genug gekrochen war, wurde man sie schwer wieder los.
Der Wind schnitt die Luft mit unsichtbaren Messern in dünne Streifen, und es war gruselig zu sehen, dass auch dieser Höllenwind nichts über die weite Fläche des Parkplatzes wehte. Sogar die leeren Getränkedosen, die normalerweise über den Teer klapperten, und die zerrissenen Plastiktüten, die sonst in windigen Nächten an einem vorüberjagten, sich plötzlich in die Luft hoben und wieder abstürzten – sie hingen irgendwo fest, gefroren, gefangen, unbeweglich.
Die Zuschauer blieben so lange wie möglich in ihren Fahrzeugen, mit eingeschalteten Motoren, die Heizungen ihrer teuren Klimaanlagen bis in den dunkelroten Bereich hochgefahren. Manche fuhren sogar Runde um Runde auf dem freien Platz, langsam wie eine Prozession, die Lichter ausgeschaltet, die Motoren der Limousinen schnurrend wie wohlerzogene Perserkatzen. Gorgon hatte noch nie gehört, dass Reifen am Asphalt festfrieren konnten, aber falls es doch möglich war, dann in einer Nacht wie dieser. Die Sohlen seiner Turnschuhe jedenfalls schienen am Boden zu kleben.
Ein paar letzte Wolken verloren sich über dem Wald, dann war der Himmel vollkommen sternenklar. Am anderen Ende des Platzes lag das niedrige Gebäude des Einkaufszentrums langgestreckt, und von dieser Seite aus war es eine schmucklose blaue Lagerhalle, ohne Fenster, mit den riesigen Türen der Laderampen. Jedes Mal, wenn Gorgon zusammen mit den anderen hier heraus gefahren wurde, fragte er sich, ob es hier tatsächlich keinen Nachtwächter gab, oder ob der Indianer ihn bestochen hatte.
Heute jedoch hatte er andere Sorgen.
Er fühlte sich hundeelend. Er schlotterte am ganzen Körper, und dafür war nicht nur die Kälte verantwortlich. Seit Wochen ließ sich dieser hässliche Grippevirus von seinem Blut durch seinen Körper tragen, Runde um Runde, und jeder Schlag seines Herzens schien das Fieber ansteigen zu lassen. Seine Muskeln fühlten sich an, als hätte er sie nicht durch hartes Training erworben, sondern aus dem Lumpensack gestohlen. Jede Bewegung schlauchte ihn, und manche Bewegungen schmerzten, schickten einen heißen, scharfen Stich bis in sein Gehirn und ließen die Welt vor seinen Augen zu einem wässrigen Nebel verschwimmen. Er schlotterte vor Kälte, und trotzdem sprudelte der Schweiß aus seinen Poren. Es war mörderisch, sich in dieser Kälte schweißnass gegen den Wind zu stemmen. Aber er musste es tun. Bei dem, was er tat, gab es keinen bezahlten und keinen unbezahlten Urlaub – man stand auf der Matte, solange man stehen konnte. Und wenn man nicht mehr stehen konnte, lag man eben auf der Matte. So einfach war das.
Der Indianer und seine schwerbewaffneten Bodyguards sorgten dafür, dass niemand die Regeln brach.
Sie waren sechzehn Kämpfer, und während sie sich warm machten, spazierten sie an den wartenden Autos vorbei, um sich begutachten zu lassen. Sie posierten vor den Männern auf den Rücksitzen, versuchten, stark, gefährlich und erbarmungslos auszusehen und die Besucher zu hohen Wetten zu animieren.
Einige der Leute, die zu ihren Kämpfen kamen, ließen an einem Abend ohne mit der Wimper zu zucken fünfzigtausend Mäuse und mehr springen. Manche Besucher hatten junge Frauen dabei, die sie vor den Kämpfen vernaschten, oft auch, während die Kämpfer dabei zusahen. Viele Frauen kamen auch alleine zu den Duellen. Sie setzten den Mindesteinsatz – tausend Euro -, um als Zuschauerin zugelassen zu werden. Sobald die Kämpfe entschieden waren, ließen sie sich von den Gewinnern abschleppen. Offenbar bedeutete es für die hübschen Töchter reicher Familien einen besonderen Kick, sich den schwitzenden, blutenden Kerlen hinzugeben, die sie niemals auf Cocktailpartys und Empfängen kennenlernen würden.
An diesem Abend befanden sich kaum Frauen unter den Zuschauern. Kein Zweifel – daran war die Kälte schuld.
Gorgon hatte sein T-Shirt ausgezogen. Es war klatschnass gewesen. Mit nacktem Oberkörper ging er an den Autos vorüber, versuchte seine trägen Muskeln spielen zu lassen und gab sich Mühe, nicht zu schwanken. Doch der Schwindel zwang ihn zu häufigen Ausfallschritten, und immer wieder taumelte er gegen eines der Autos. Er konnte sich nicht darauf konzentrieren, mit welchen Blicken die Besucher ihn taxierten, zumal das Innere der meisten Wagen durch die verspiegelten Scheiben kaum zu erkennen war. Eines war sicher: Nur die unerfahrenen Zuschauer würden sich heute Nacht von seinen Muskeln blenden lassen.
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