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Die neuen Leiden des jungen W

Die neuen Leiden des jungen W

Titel: Die neuen Leiden des jungen W Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Urlich Plenzdorf
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ekelhaft leid. Meistens konnte ich es für den Rest meines Lebens nicht mehr ausstehen. Das andere war in einem Wechselrahmen. Ich will nichts weiter darüber sagen. Wer es kennt, weiß, welches ich meine. Ein echtes Brechmittel, im Ernst. Dieses prachtvolle Paar da am Strand. Überhaupt: Wechselrahmen. Wenn ich alle Bilder der Welt sehen will, geh ich ins Museum. Oder mir geht ein Bild an die Nieren, dann häng ich es mir dreimal ins Zimmer, damit ich es von überall sehen kann. Wenn ich Wechselrahmen sah, dachte ich immer, die Leute haben sich verpflichtet, im Jahr zwölf Bilder anzusehen.
    Plötzlich sagte Charlie: Die Bilder stammen noch aus unserer Schulzeit.
    Dabei hatte ich den Mund nicht einmal aufgemacht. Ich hatte auch nicht gestöhnt oder die Augen verdreht, nichts. Ich sah mich nach Dieter um. Ich möchte sagen, der Mann stand in seiner Ecke, hatte die Fäuste unten und bewegte sich nicht. Kann sein, er hatte noch nicht begriffen, daß die zweite Runde längst lief. Charlie entschuldigte sich ständig für ihn, und er bewegte sich nicht. Leute, ich wußte jedenfalls, was ich zu tun hatte. Als nächstes nahm ich mir seine Bücher vor. Er hatte die Masse. Alles unter Glas. Alle der Größe nach geordnet. Ich sackte zusammen. Immer wenn ich so was sah, sackte ich zusammen. Meine Meinung zu Büchern hab ich wohl schon gesagt. Ich weiß nicht, was er alles hatte. Garantiert alle diese guten Bücher. Reihenweise Marx, Engels, Lenin. Ich hatte nichts gegen Lenin und die. Ich hatte auch nichts gegen den Kommunismus und das, die Abschaffung der Ausbeutung auf der ganzen Welt. Dagegen war ich nicht. Aber gegen alles andere. Daß man Bücher nach der Größe ordnet zum Beispiel. Den meisten von uns geht es so. Sie haben nichts gegen den Kommunismus. Kein einigermaßen intelligenter Mensch kann heute was gegen den Kommunismus haben. Aber ansonsten sind sie dagegen. Zum Dafürsein gehört kein Mut. Mutig will aber jeder sein. Folglich ist er dagegen. Das ist es. Charlie sagte: Dieter wird Germanistik studieren. Er hat eine Menge aufzuholen. Andere, die nicht so lange bei der Armee waren, sind längst Dozenten heute.
    Ich sah Dieter an. Spätestens jetzt wäre ich an seiner Stelle losgegangen. Aber er hatte immer noch die Fäuste unten. Eine hervorragende Situation. Langsam begriff ich, daß es zu einem ungeheuren Bums kommen mußte, wenn ich so weitermachte und wenn Charlie nicht aufhörte, sich für ihn zu entschuldigen.
    Das einzige in dem ganzen Zimmer war noch Dieters Luftgewehr, ein Knicklauf. Er hatte es über das Bett gehängt. Ich holte es lässig runter, ohne zu fragen, und fing an damit rumzufummeln. Ich hielt die Spritze auf dieses Paar am Strand, auf Dieter, auf Charlie. Bei Charlie kam Dieter endlich in Bewegung. Er drehte mir den Lauf weg.
    Ich fragte: Geladen?
    Und Dieter: Trotzdem. Ist schon zu viel vorgekommen.
    Solche Opa-Sprüche brachten mich immer fast gar nicht um. Trotzdem sagte ich nichts. Ich hielt mir bloß den Lauf an die Schläfe und drückte ab. Das brachte ihn endlich aus der Reserve: Das Ding ist kein Spielzeug! Soviel Grips wirst du doch haben!
    Dabei riß er mir die Flinte aus der Hand.
    Ich ließ sofort meine schärfste Waffe sprechen, Old Werther:
    Mein Freund..., der Mensch ist Mensch, und das bißchen Verstand, das einer haben mag, kommt wenig oder nicht in Anschlag, wenn Leidenschaft wütet und die Grenzen der Menschheit einen drängen. Vielmehr — Ein andermal davon.
    Die Grenzen der Menschheit, unter dem machte es Old Werther nicht. Aber ich hatte Dieter voll getroffen. Er machte den Fehler, darüber nachzudenken. Charlie hörte gar nicht mehr hin. Aber Dieter machte den Fehler nachzudenken. Ich konnte an sich gehen. Da fing Charlie an: Ich mach uns noch was zu schnabulieren, ja?
    Und Dieter: Von mir aus! Aber ich hab zu tun. Er war in Fahrt. Er pflanzte sich hinter seinen Schreibtisch. Mit dem Rücken zu uns.
    Charlie: Er hat in drei Tagen Aufnahmeprüfung.
    Charlie hatte wohl einen schlechten Tag. Sie konnte es nicht lassen. Ich stand immer noch rum.
    In dem Moment ging Dieter in die Luft. Er sagte eisig: Kannst ihm ja unterwegs noch was von mir erzählen.
    Charlie wurde bleich. Das war ein glatter Rauswurf für uns beide. Ich hatte sie in eine herrliche Lage gebracht, ich Idiot freute mich noch. Charlie war bleich, und ich Idiot stand da und freute mich noch. Dann ging ich. Charlie kam mir nach. Auf der Straße kriegte ich es fertig, den Arm um ihre Schultern zu

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