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Die neuen Leiden des jungen W

Die neuen Leiden des jungen W

Titel: Die neuen Leiden des jungen W Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Urlich Plenzdorf
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wertvoller Mensch war und so. Ich möchte wissen, wer das aufgebracht hat.

    »Wir haben Edgar leider von Anfang an falsch angefaßt, einwandfrei. Wir haben ihn unterschätzt, vor allem ich als Brigadeleiter. Ich hab in ihm von Anfang an nur den Angeber gesehen, den Nichtskönner, der nur auf unsere Knochen Geld verdienen wollte.«

    Klar wollte ich Geld verdienen! Wenn einer keine Tonbänder mehr kaufen kann, muß er Geld verdienen. Und wo geht er in diesem Fall hin? Zum Bau. Motto: Wer nichts will und wer nichts kann, geht zum Bau oder zur Bahn. Bahn war mir zu gefährlich. Da hätten sie garantiert nach Ausweis und Aufenthaltsgenehmigung gefragt und dem Käse. Also Bau. Auf dem Bau nehmen sie jeden. Das wußte ich. Sauer war ich bloß, als ich zu Addi und Zaremba und der Truppe reinkam, sie renovierten olle Berliner Wohnungen, immer gleich hausweise, und Addi sagte sofort: »Morgen«, sagt man, wenn man reinkommt!
    Den Typ kannte ich. Frag so einen mal nach Salinger oder einem. Da kommt garantiert nichts. Da denkt er, das ist ein Fachbuch, das ihm entgangen ist.
    Vielleicht wär alles anders gekommen, wenn Addi an dem Tag blaugemacht hätte oder was. Auf die Art war ich natürlich gleich kontra. Kann auch sein, daß meine Nerven nicht die besten waren zu der Zeit, wegen der Sache mit Charlie. Es ging mir doch mehr an die Nieren als ich gedacht hatte.
    Das nächste, was Addi machte, war, daß er mir eine von diesen Malerrollen hinhielt und mich fragte, ob ich so was schon mal in der Hand gehabt habe. Jeder Pionier kennt diese Dinger. Folglich verweigerte ich glatt die Aussage. Danach hielt er mir einen Pinsel hin und schickte mich zu Zaremba. Fenster vorstreichen. Alle glotzten natürlich, wie ich mich anstellen würde. Aber mir wurde sofort besser, als ich Zaremba sah. Sozusagen Liebe auf den ersten Blick. Ich sah sofort, der Alte war ein Vieh. Zaremba war über siebzig. Er konnte längst auf Rente sein, aber er rackerte hier noch rum. Und nicht etwa als Lückenbüßer. Er konnte sich eine Bockleiter zwischen die Beine klemmen und damit regelrecht durch die Stube tanzen und wurde nicht die Bohne naß dabei. Abgesehen davon, daß er sowieso nur aus Haut, Knochen und Muskeln bestand. Wo sollte da Wasser herkommen. Einer seiner Tricks war, sich von jemand ein offenes Taschenmesser auf den Bizeps fallen zu lassen. Es sprang weg wie aus Gummi. Oder er spielte den Glöckner von Notre-Dame. Dazu nahm er ein Auge raus, er hatte ein Glasauge, knickte in der Hüfte ein und wankte durch die Gegend. Wir lagen regelmäßig am Boden. Das Glasauge hatte er sich in Spanien eingehandelt. Das heißt: Gemacht hatte es ihm einer in Philadelphia. Außerdem fehlten ihm noch ein Stück von einem kleinen Finger und zwei Rippen. Dafür hatte er noch alle Zähne und beide Arme und die Brust voll Tätowierungen. Aber nicht diese dicken Weiber und Herzen und das und Anker. Das wimmelte bloß so von Fahnen, Sternen und Hammer und Sichel, da war sogar ein Stück Kremlmauer. An sich war er wohl aus Böhmen oder so. Aber das schönste war, daß er es noch mit Frauen hatte. Ich weiß nicht, ob das einer glaubt, es war aber Tatsache. Zaremba betreute unseren Bauwagen. Er machte da sauber und hatte immer den Schlüssel. Es war ein ziemlich schmuckes Fahrzeug. Mit zwei Kojen und allem Drum und Dran. Einmal, es war schon dunkel, schlich ich mich da ran. Ich wußte bis dahin gar nichts, sondern ich hatte aus einem ganz bestimmten Grund etwas unter dem Wagen zu machen. Da hörte ich deutlich, wie er eine Frau am Wickel hatte. Ihrem Lachen nach muß sie sehr nett gewesen sein. Es soll aber keiner denken, ich wäre Zaremba wegen alledem gleich um den Hals gefallen. Das nun nicht. Schon nicht, weil er mich als erstes fragte, ob ich mit der Gewerkschaft auf dem laufenden wäre. Er war Kassierer. Das tötete mich immer fast gar nicht. Wenn es nicht Zaremba gewesen wäre, hätte ich sofort kehrtgemacht. So hielt ich ihm kurz mein Buch hin. Er nahm es mir weg und fing an es durchzuschnüffeln. Wahrscheinlich wollte er nur Bescheid wissen über mich. Natürlich hatte ich in Berlin nicht bezahlt. Sofort hatte er seine komische Blechschachtel draußen, und ich sollte nachzahlen. Kunststück, wenn einer nicht mal Tonbänder kaufen kann. Wahrscheinlich wollte er das nur wissen.
    Dann fing ich also an, freiweg eins von diesen Fenstern vorzustreichen. Die Farbe lief nur so über das Glas. Ich hatte zu Hause x-mal die Fenster gestrichen, aber ich brachte es einfach

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