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Die neuen Leiden des jungen W

Die neuen Leiden des jungen W

Titel: Die neuen Leiden des jungen W Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Urlich Plenzdorf
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nicht anders fertig. Hätten sie nicht so geglotzt, wie ich mich anstelle, hätte ich das sauberste Fenster hingelegt. Nicht so sauber wie Zaremba. Zaremba malte wie eine Maschine. Aber so sauber wie irgendein anderer von ihnen immer noch, einschließlich Addi. Addi wurde sichtlich nervös. Er ging bloß deshalb nicht gleich in die Luft, weil ja Zaremba neben mir war. Daß ich Zaremba nicht aus der Ruhe bringen würde, war mir ziemlich schnell klar. Er sah mich gar nicht. Jedenfalls hielt es Addi nicht mehr aus und keifte los: Ich würde das ganze Fenster zuschmieren!
    Was ich machte, ist wohl klar. Ich fing an, das ganze Fenster zuzuschmieren. Ich dachte, Addi fällt von der Leiter. Aber dann fiel ich fast von der Leiter, wenn ich auf einer gewesen wäre. Direkt neben mir fing Zaremba plötzlich an zu singen! Ich dachte, mich tritt ein Pferd und streift ein Bus und alles zusammen. Zaremba dröhnte, und die anderen machten fast sofort mit, und zwar nicht irgendeinen Schlager oder was, sondern eins von diesen Liedern, von denen man immer nur die erste Strophe kennt. Aber diese Truppe dröhnte den ganzen Song runter. Ich glaube: Auf, Sozialisten, schließt die Reihen. Die Trommel ruft, die Fahnen wehn...
    Das war eine Truppe, Leute! Auf, Sozialisten! Mir fiel fast der Pinsel aus den Pfoten. Das war so Zarembas Methode, wenn der liebe Addi in die Luft gehen wollte. Das stellte sich bei der nächsten Gelegenheit heraus. Es war in irgendeiner ollen Küche. Die Wand war da ziemlich rissig, und ich sollte sie ausgipsen. Sagte Addi: Gelegentlich mit Gips zu tun gehabt? — Dann sieh dir mal die Wand an.
    In diesem Stil.
    Ich fing also an, in irgendeinem Eimer Gips anzurühren. Ich weiß nicht, wer das kennt, Leute. Ich nahm jedenfalls zeitlebens immer erst zuviel Wasser, dann zuviel Gips und so weiter. Auf diese Art wurde langsam der Eimer voll, und ich hätte schon ein As sein müssen, wenn das Zeug nicht hart werden sollte. Ich sah schon ziemlich alt aus, da kam die Rettung. Addi verlor die Nerven. Er fauchte: Ich würde den ganzen Eimer voll machen.
    Was Besseres fiel ihm nicht ein. Ich parierte natürlich aufs Wort und kippte den ganzen Gips in den Eimer. Fast in derselben Sekunde fing Zaremba zu singen an. Er konnte uns gar nicht sehen aus dem Klo oder wo er gerade steckte. Aber er mußte es wohl gerochen haben, was los war. Es war wieder so eine Schote, diesmal mit Partisanen, und wieder zog die ganze Truppe mit. Er hatte sie gut im Griff. Addi riß sich fast sofort zusammen und schickte mich in eins der Zimmer, den Boden fegen, wegen Vorstreichen. Ich an seiner Stelle hätte mir wahrscheinlich den ganzen ollen Eimer mit dem Gips über die Bonje gekippt. Aber Addi riß sich zusammen. Da ging mir das Licht auf, was es mit dem Gesinge auf sich hatte. Ich schob ab. Ich war bloß gespannt, was Zaremba machen würde, wenn ich ihm selber so kam. Ob er da auch singen würde. Vorher hörte ich noch, wie Zaremba zu Addi in die Küche tobte und ihn anknurrte: Mußt ruhiger werden, Kerl. Viel ruhiger. No?
    Und Addi: Sag mir mal, was der bei uns will? Der will doch bloß auf unsere Knochen Geld verdienen, einwandfrei. Die Flasche, die.
    Und Zaremba machte: No... Flasche?!
    Ich sagte wohl schon, daß Zaremba aus Böhmen war. Deswegen wohl dieses »no«. Er brachte es in jedem Satz mindestens dreimal unter. Der Mann konnte mit diesem »no« mehr sagen als andere in ganzen Romanen. Sagte er: No? und legte dabei den Kopf schräg, hieß das: Darüber denk noch mal nach, Kollege! Machte er: No?! und zog dabei seine Filzbrauen hoch, hieß das: Das sag nicht noch mal, Kumpel! Kniff er dabei seine Schweinsritzen zu, wußten alle, jetzt bringt er gleich den Glöckner von Notre-Dame. Ich weiß nicht, ob es stimmt. Irgendeiner hatte mir erzählt, Zaremba soll gleich nach fünfundvierzig für drei Wochen Oberster Richter oder so von Berlin gewesen sein. Er soll ganz ulkige und ganz scharfe Urteile gefällt haben.
    No? Herr Angeklagter, Sie waren also schon immer ein großer Freund der Kommunisten, herich?! In dem Stil. »Herich«, das war auch so ein Wort von ihm. Ich brauchte ewig, bis ich kapiert hatte, daß »herich« »hör ich« heißt. Zaremba war schon ein Vieh.
    Ich weiß nicht, ob er genug vom Singen hatte oder ob er einsah, daß ich und Addi nicht zurechtkamen. Jedenfalls fing er an, mir die Aufträge zu geben. Das erste war, daß ich in irgendeinem ollen Klo das Paneel oder vielmehr das, was über dem Paneel kommt, tünchen sollte

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