Die neuen Weltwunder - In 20 Bauten durch die Weltgeschichte
riesigen Palast mit ausgedehnten Parkanlagen errichten lassen, den nunmehr Vespasian ans Volk zurückgab. Auf sumpfigen Teilen dieses Geländes hatte Nero einen See anlegen lassen, und ebendort wurde das Kolosseum gebaut, das Amphitheatrum Flavium, das mithin im Herzen der Stadt lag.
Die monumentalen Ausmaße und der technische Aufwand, der mit dem Kolosseum getrieben wurde, erklärt sich durch die Tatsache, dass die inzwischen längere Tradition von Gladiatorenkämpfen zu erheblich gestiegenen Ansprüchen an ihre Ausrichtung geführt hatte, denen Vespasian und seine Planer Rechnung trugen. Es sollte nicht nur das größte Amphitheater überhaupt, sondern auch das modernste und raffinierteste sein. Und das wurde es auch, und zwar gleich in mehrerlei Hinsicht.
Das Kolosseum erhielt in der Tat kolossale Ausmaße, und seine technische Ausführung wurde schon von Zeitgenossen gerühmt: 188 Meter lang und 156 Meter breit ist der elliptische Bau, um die fünfzig Meter hoch waren seine Mauern ursprünglich, knappdreitausendvierhundert Quadratmeter Fläche beanspruchte er und bot Platz für rund fünfzigtausend Zuschauer. Die letztgenannte Zahl ist wegen der auslegungsbedürftigen zeitgenössischen Angaben allerdings umstritten, wenn auch ganz überwiegend akzeptiert. Insgesamt wurden eine Million Backsteine, hunderttausend Tonnen Travertin, zweihundertfünfzigtausend Kubikmeter Beton, hunderttausend Kubikmeter Kalk sowie dreihundert Tonnen Eisen und ungezählte Klafter Holz verbaut. Wie noch heute bei prestigeträchtigen Großprojekten, deren Bauherren eine schnelle Fertigstellung durchsetzen können, wurden großzügige Ausnahmegenehmigungen erteilt, damit Tag und Nacht gearbeitet werden konnte.
Angesichts des sumpfigen Untergrunds war die Konstruktion des Kolosseums eine technische Meisterleistung. Zunächst musste ein so gewaltiger Bau ein tragfähiges Fundament erhalten – an dieser Stelle keine leicht zu bewältigende Aufgabe. Zur Konstruktion gehörte auch ein ausgedehntes Be- und Entwässerungssystem, das das Gebäude außen unter dem Pflaster umschließt, das gesammelte Wasser in Kanälen abführt und die zahlreichen Brunnen der Anlage speiste.
In der ersten Bauphase wurde der Grund entwässert und mit einer dicken Betondecke versehen. Der Innenraum erhielt unter anderem aus statischen Gründen ein System von Tunneln entlang der Längsachse, über denen der hölzerne Boden der Arena verlegt wurde. Von den Tunneln konnten Requisiten oder Tiere mit Aufzügen nach oben transportiert werden – gut in Szene gesetzt, konnte man dabei der Ahs und Ohs der Zuschauer sicher sein. Die Arena wurde vollständig umschlossen vom Zuschauerraum, der wie in Skelettbauweise errichtet auf massiven Travertinpfeilern ruhte. Das ermöglichte, dass die Zuschauerränge gleichzeitig auf verschiedenen Ebenen eingebaut werden konnten.
Bei der Einweihung durch Vespasian besaß das Kolosseum vermutlich nur drei Stockwerke, bei seinem spektakulären Spielbeginn unter Titus waren es schließlich die vier, die noch heute erkennbar sind. Rund ums Gebäude verlaufen Arkaden, die das massive Gebäude auflockern und Licht in die Gänge bringen. Jeweils dazwischen stehen Säulen in den drei unteren Etagen – von unten nach oben in dorischem, ionischem und korinthischem Stil. Das oberste Stockwerk erhielt nur rechteckige Fenster. Die achtzig Zugänge sind nummeriert, sie leiten den Besucher über strahlenförmig angelegte, zur Unterscheidung in verschiedenen Farben gestrichene Korridore in kürzester Zeit zum richtigen Platz – und ermöglichten damit eine schnelle Entleerung des Gebäudes nach der Veranstaltung. Nicht nur baulich, auch logistisch leisteten die Planer also ganze Arbeit. Ein breiterer Zugang war für den Kaiser nebst Gefolge reserviert sowie einer für die Beamtenschaft; zwei weitere dienten den Gladiatoren. Der westliche von diesen hieß Porta Triumphalis, weil durch ihn die Gladiatoren in die Arena einzogen. Gegenüber lag die sogenannte Todespforte – dort ging es für die Gladiatoren hinaus, möglicherweise aber nur für die unterlegenen, also mit den Füßen zuerst.
Für die meist kostenlosen Veranstaltungen gab es Platzkarten, um nicht nur einen reibungslosen Besucherstrom zu gewährleisten, sondern auch die soziale Gliederung einzuhalten. Denn auf den Zuschauerplätzen ging es streng hierarchisch zu: In den fünf Rängen des Kolosseums bildete sich sozusagen die römische Gesellschaftsordnung ab, und sogar innerhalb der
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