Die neuen Weltwunder - In 20 Bauten durch die Weltgeschichte
Lebensbereiche durchdringen darf oder gar muss. Die erste Gruppe ist vergleichsweise jung, denn ohne Religion zu leben kam erst dann infrage, als sich andere Erklärungen der menschlichen Existenz anboten. Die zweite ist etwas älter und bildete sich im Westen unter dem Eindruck der Aufklärung, die dem Christentum mit seiner postulierten Zuständigkeit für alle Lebensbereiche gründlich denKopf wusch. Die dritte, älteste erfährt auch heute noch immer wieder Zuspruch – und wird allzu gern instrumentalisiert.
Von der in grauer Vorzeit aus prekären Sinnesnöten geborenen Errungenschaft frühester Menschheitsgeschichte stieg Religion rasch zu einer gesellschaftlichen und politischen Größe auf – umso mehr, je vielschichtiger das menschliche Miteinander namens Gesellschaft wurde. Zugehörigkeit zu einer Gesellschaft setzte voraus, mit anderen die religiöse Weltanschauung zu teilen – daraus erwuchsen Staaten mit einheitlicher Religionszugehörigkeit. Dass Religion und Macht alsbald eine mindestens zwiespältige Union eingingen, liegt auf der Hand. Und so entwickelte es sich auch im Römischen Reich.
Dort ging man mit Religion lange Zeit recht entspannt um. Solange den Göttern durch formal richtige Kulthandlungen Genüge getan sowie die Oberherrschaft Roms und der jeweilige Staatskult nicht infrage gestellt wurden, konnte ein jeder nach seiner religiösen Fasson selig werden. Schwierig jedoch wurde es bei monotheistischen Religionen – Jesus von Nazareth wurde hingerichtet, weil er dem römischen Kaiser aus Glaubensgründen seinen Gehorsam verweigerte. Dieser christliche Universalanspruch veranlasste Rom später zu den schrecklichen Christenverfolgungen, weil es die neue Religion lange Zeit als renitente, obskure Sekte ansah.
Das änderte sich, als im Laufe des 4 . Jahrhunderts Zug um Zug das Christentum über die Stationen Verfolgung, Tolerierung und schließlich Bevorzugung zur römischen Staatsreligion aufstieg. Daraus erwuchs im Abendland die Dualität von kaiserlicher, weltlicher Macht und päpstlichem, geistlichem Führungsanspruch – was das westeuropäische Mittelalter geprägt und immer wieder erschüttert hat.
In ebenjenem Jahrhundert, an dessen Ende das Christentum römische Staatsreligion werden sollte, wurde Konstantinopel gegründet. Das heutige Istanbul, am Übergang zwischen Europa und Asien gelegen und damit von Anbeginn mit kultureller Brückenfunktion versehen, war seit dem 7 . Jahrhundert v. Chr. eine griechische Handelsstadt namens Byzantos, aber arg zerstört, als der römische Kaiser Konstantin I ., aus dem heutigen Serbien gebürtig, in den Jahren 324 bis 330 dort seine Stadt Konstantinopel aus der Taufe hob. Zu seinen Lebzeiten tat sich allerdings nicht allzu viel dort, und wie die Stadt angelegt wurde, ist vor Ort auch nicht mehr nachzuvollziehen. Konstantin war der Erste, der das Christentum energisch förderte, auch wenn es noch keine Staatsreligion wurde: Dass weltanschaulich die Dinge im Fluss waren, veranschaulichte im »neuen Rom« namens Konstantinopel eine Säule, die den Stadtgründer als römischen Sonnengott darstellte – im Sockel aber mit christlichen Reliquien ausgestattet war. Die von Konstantin begonnene erste Sophienkirche Konstantinopels wurde unter dessen Sohn Constantius II . fertig gestellt, und außer Kirchen erhielt die Stadt bald auch repräsentative Plätze und Gebäude, eine von Aquädukten gespeiste Wasserversorgung sowie eine mächtige Festungsanlage, die erst 1204 zum ersten Mal genommen werden konnte – und zwar von katholischen Kreuzfahrern. Wie zuvor die heidnischen Tempel dienten den nunmehr christlichen Kaisern die Kirchen keineswegs ausschließlich der Lobpreisung Gottes, sondern ebenso der Repräsentation kaiserlicher Macht, ihrer Nähe zum Göttlichen und damit ihrer Auserwähltheit.
In der Folge der bis Ende des 4 . Jahrhunderts in Schritten vollzogenen Teilung des Römischen Reiches, die das angesichts von militärischem und Migrationsdruck an den Rändern zerfasernde, aber weiterhin als Einheit begriffene Imperium retten sollte, wurde Konstantinopel zur Hauptstadt der östlichen Reichshälfte: zum zweiten Rom oder Ostrom. Während der Westteil des Römischen Reiches in den Wirren in Folge der Völkerwanderung steckte und arg gebeutelt wurde, zeigte sich die Lage im Osten erheblich ruhiger. Schon bald lebten in Konstantinopel mehr Menschen als zur selben Zeit in den Metropolen Rom und Alexandria: in der ersten Hälfte des 6 .
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