Die neuen Weltwunder - In 20 Bauten durch die Weltgeschichte
übertroffen!«, um damit die Kirche über den legendären Tempel Salomons in Jerusalem zu stellen.
Baugestaltlich zeigt sich die Hagia Sophia als eine gekonnte Verschmelzung des klassischen, länglichen Baus einer Basilika, wie sie für christliche Gotteshäuser üblich geworden war, mit einem Zentralbau nach dem Vorbild römischer Mausoleen. Das war nichts völlig Neues, erhielt aber in Konstantinopel eine gleichzeitig monumentale und meisterhafte Form – das Neue, Unvergleichliche liegt also im einzigartigen Zusammenspiel dieser Elemente. Dominiert wird die Kuppelbasilika von der großen Mittelkuppel, die von insgesamt sechs abgestuften Halbkuppeln eingerahmt wird. Der Scheitelpunkt der eindrucksvollen Hauptkuppel liegt bei 56 Metern Höhe; der Durchmesser beträgt knapp 32 Meter. Das Besondere an diesem Kuppelbau ist seine Statik: Da die Kuppel im Inneren auf nur vier der ansonsten reichlich vorhandenen Säulen ruht, scheint sie für den himmelwärts schauenden Besucher des Gotteshauses wie ein überdimensionaler Baldachin über dem großen Zentralraum regelrecht zu schweben. Die Last wird äußerlich verteilt und abgeleitet: über die niedrigeren Nebenkuppeln und durch Querstreben über den Seitenschiffen. Damit einher geht die klare Bevorzugung des Inneren vor der Gebäudehülle. Als erdbebensicher erwiesen sich das Gebäude und insbesondere die wohl übereilt errichtete Kuppel trotz verschiedener baulicher Vorkehrungen jedoch nicht, denn schon die erste, einige Meter niedrigere Kuppel als die heutige, stürzte 558 nach einem schweren Erdbeben im Jahr zuvor ein, und in späteren Jahrhunderten kam es infolge von weiteren Erdstößen immer wieder zu Schäden an dem Gotteshaus.
Das Innere des Baus dominieren, abgesehen von der überwältigenden Kuppel, die unzähligen Säulen sowie die kostbaren und verschwenderisch, dabei höchst überlegt und wirkungsvoll eingesetzten Materialien der Innengestaltung: verschiedenfarbiger Marmor und roter Porphyr, kunstvolle Mosaiken in den Gewölben, Gold und Silber. Das Tageslicht wurde nicht minder planvoll durch Fenster an bestimmten Stellen ins Innere geleitet, um seine Wirkung zu tun; nachträgliche Veränderungen beeinträchtigen diesen Teil der Wirkungskomposition. Das Licht nämlich wurde von den Architekten als Zeremonienmeister gekonnt eingesetzt: Die Zufuhr von Tageslicht war so arrangiert, dass sie von unten nach oben zunahm und damit die Kuppel voll zur Geltung brachte; im Dienst dieser geführten Beleuchtung stehen außerdem die Materialien des Kuppelinneren, so dass einem demütigen Betrachter das Licht hoch oben nahezu überirdisch vorkommt. Abends und nachts stand die Wirkung des künstlichen Lichts dem natürlichen in nichts nach – zudemkonnten Schiffe auf dem Bosporus oder dem Marmarameer die Kathedrale als Leuchtturm nutzen. Ein zeitgenössischer Chronist meinte gar, die Kuppel hänge wie an einem goldenen Seil vom Himmel herab und bedecke den Raum – als werfe Gott Licht auf seine Schöpfung, um auf ihre Vollkommenheit hinzuweisen. Der Gläubige erfährt sich als winziger, staunender Teil dieser Schöpfung. Der Kaiser aber wird in seiner Hofkapelle gleich mitinszeniert – nicht als Teil der demütigen Masse, sondern ihr entrückt und entzogen.
Der Glanz des riesigen Gotteshauses wurde verstärkt durch seine Funktion als Hauptkirche des Oströmischen Reiches und die damit verbundenen prächtigen Festgottesdienste in Anwesenheit des Kaisers. Zu feierlichen Anlässen zog dann eine Prozession vom nahe gelegenen Kaiserpalast zur Kirche – seit 641 war die Hagia Sophia außerdem Krönungskirche der Kaiser. Drei der neun Tore waren für Kaiser und Gefolge reserviert, sie führen direkt in den Mittelraum der Kirche, die gleichzeitig Hofkapelle war. Die kaiserliche Empore befand sich gegenüber dem Hochaltar. Als Begräbnisort der Kaiser diente die Hagia Sophia jedoch nicht, was ihre kirchliche Bedeutung eher betont als schwächt. Dafür wurden kostbare Reliquien dort aufbewahrt, darunter – behauptet die Legende – die Türen der Arche Noah, die Trompeten von Jericho, das Kreuz Christi, ein Rost, auf dem Märtyrer gebraten worden waren, und anderes Illustres mehr.
Für Justinians Nachfolger wurde es allmählich eng, denn Slawen und vor allem Araber drängten immer wieder vor und rangen dem Oströmischen Reich an seinen Rändern wichtige Gebiete ab; mehrmals wurde Konstantinopel selbst von den Arabern belagert. Auch zwei Phasen der Konsolidierung des
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