Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die neuen Weltwunder - In 20 Bauten durch die Weltgeschichte

Die neuen Weltwunder - In 20 Bauten durch die Weltgeschichte

Titel: Die neuen Weltwunder - In 20 Bauten durch die Weltgeschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Ingmar Gutberlet
Vom Netzwerk:
herrschenden Gottkönige war vorbei, denn das Regierungsmodell hatte sich zuletzt nicht mehr bewährt, dramatisch nachvollziehbar am raschen Untergang der früheren Stadtstaaten. Als nach dem Zusammenbruch im Tiefland die Menschen aus ihren Städten flohen, fanden sie im Norden geeignete Siedlungsorte, darunter in und um Chichén Itzá, das in der Folge wuchs und aufblühte. Chichén Itzá profitierte also vom tragischen Untergang der weiter südlich gelegenen klassischen Maya-Städte, und in der Folge konnte die Stadt den größten Maya-Staat errichten, den es je gab. Die Metropole beherbergt in ihrem Zentrum – das einen imposanten Sakralbereich darstellt – einige der berühmtesten Bauten der Maya. Die weitgespannten wirtschaftlichen Kontakte machten aus der Hauptstadt der Itzá-Maya einen kulturellen Schmelztiegel, dessen Charakter an den unterschiedlichen Baustilen und ihrer Kombination noch heute ablesbar ist. Die ausgedehnte Stadtanlage sollte seinerzeit nicht zuletzt die zahlreichen auswärtigen Besucher beeindrucken und der großen Machtfülle der Stadt baulich Ausdruck verleihen. Diese Absicht lässt sich zweifellos als gelungen bezeichnen, und nicht ohne Grund gehört die Stadt heute noch zu den meistbesuchten Maya-Stätten.

    Größter Tempel und Wahrzeichen der Stadt ist El Castillo (»das Schloss«) im neueren, nördlichen Teil. Die spanische Bezeichnung führt in die Irre: Auf einer dreißig Meter hohen Stufenpyramide mit neun Plattformen und einer Treppe an jeder der vier Seiten erhebt sich der vier Meter hohe Tempel. Geweiht war er dem Gott Kukulkán alias Quetzalcoatl alias Gefiederte Schlange. Zweimal im Jahr, zu den Tag-und-Nacht-Gleichen im März und im September, versammeln sich große Menschenmengen vor der Pyramide, um ein abendliches Schauspiel zu bewundern: Dann nämlich zaubert die Sonne eine Lichtschlange auf die Treppe an der Nordseite des Bauwerks. Ob der Effekt aus Zufall eintritt oder von den Erbauern absichtlich eingeplant wurde, lässt sich nicht mehr klären, allerdings besaßen die Maya gewiefte Fachleute in Sachen Astronomie, Mathematik und Kalender und schätzten dergleichen Effekte über die Maßen.

    Die Astronomen von Chichén Itzá besaßen im Caracol genannten Turm ein eigenes Observatorium. Dieses merkwürdig disproportionierte Gebäude im südlichen, älteren Teil der Stadt hat den Archäologen manches Rätsel aufgegeben, zumal es teilweise zerstört ist. Es wurde zwischen 800 und 1000 n. Chr. errichtet und besteht aus einem irgendwie allzu klobig geratenen Turm, der auf einem Fundament mit zwei Plattformen steht. Im Inneren des Turms gelangte man über eine ausgesprochen enge Stiege beschwerlichen Ganges nach oben. Und um was zu tun? Das war lange rätselhaft, aber das eigenwillige Caracol ergibt einen Sinn, wenn man es als Observatorium ansieht: Durch nur scheinbar wahllos angeordnete Fenster, von denen drei erhalten sind, konnte man zu ganz bestimmten Tagen ganz bestimmte Konstellationen des Planeten Venus, des Erdtrabanten Mond oder des Fixsterns Sonne beobachten.
    Über die Manie der Maya bezüglich Zeitrechnung und Astronomie ist viel spekuliert worden. Manche möchten darin übernatürliches Wissen erkennen oder interpretieren die höchst anspruchsvolle Zeitrechnung der Maya als veritablen Countdown zum Weltuntergang. Hintergrund dafür ist das Ende eines wichtigen Zyklus des Kalenders, welches nach gängiger Umrechnungsmethode ins Jahr 2012 fällt. Allerdings gingen die alten Maya weder davon aus, dass die Welt an diesem Tag, der in der Langzeitchronologie der Maya das ominöse Datum 13 . 0 . 0 . 0 . 0 trägt und schon deshalb durchaus würdig begangen worden wäre, die Welt untergeht, noch wollten sie mit ihrem Kalender den Weltgeheimnissen aufspüren. Denn die Maya wähnten sich wie andere vormoderne Gesellschaften mit traditionsreicher Religion ohnehin im Besitz der nötigen Wahrheiten. Zu ihrer religiösen Weltsicht gehörte die enorme Wertschätzung der Zeit, die dann in Form des auf uns überaus exotisch wirkenden Kalenders von den Gottkönigen ideologisch und machtpolitisch genutzt wurde. Weil reichhaltige kalendarische Bezüge ihre Herrschaft legitimierten, stellten die von den Herrschern bestellten Fachleute solche Bezüge her, wo es nur ging: vor allem aber zur Legitimierung der regierenden Dynastie und von Kriegszügen, dienur zu bestimmten Konstellationen der Venus, des schrecklichen Kriegsgottes der Maya, begonnen werden durften. Für solche

Weitere Kostenlose Bücher