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Die neuen Weltwunder - In 20 Bauten durch die Weltgeschichte

Die neuen Weltwunder - In 20 Bauten durch die Weltgeschichte

Titel: Die neuen Weltwunder - In 20 Bauten durch die Weltgeschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Ingmar Gutberlet
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die Bewohner eine zunehmend effektivere Landwirtschaft auf. Für Bootsbau und den Transport der Statuen benötigten sie jedoch neben einem Lebensmittelüberschuss, der die mit den Statuen befassten Fachleute ernähren konnte, auch sehr viel Holz. Analysen haben ergeben, dass die größeren Baumsorten, die ursprünglich auf der Insel heimisch gewesen waren, im Laufe des 17 . Jahrhunderts verschwanden, vor allem ein der chilenischen Honigpalme verwandter Baum, aber auch noch an die zwanzig andere Arten, aus denen überdies die Seile hergestellt wurden, die für den Transport der Statuen unverzichtbar waren. Die Folgen dieses Raubbaus bestanden aber nicht nur in prekären Materialengpässen des sozial und religiös wichtigen Statuenbaus, sondern daneben in massiven Auswirkungen für Flora und Fauna, für Vogel- und Tierbestand und Qualität der landwirtschaftlich genutzten Böden. Schwierig wurde es auch mit der Verbrennung der Toten und dem Heizen – Ersteres wurde eingestellt, für Letzteres in regnerischen, klammen Winternächten verlegte man sich auf mindere Stoffe mit geringerem Heizwert. Als zunehmend bedenklich erwies sich insbesondere die Ernährungslage: Wild lebende Tiere starben aus, für den Fischfang fehlten geeignete Boote, aber auch die landwirtschaftlichen Erträge gingen durch Erosion und ausgezehrte Böden ohne ausreichende Nährstoffzufuhr stark zurück. Hungersnöte waren die Folge. Wie dramatisch sie ausfielen, zeigt nicht nur der Vergleich der Bevölkerungszahlen zur Zeitder Ankunft der Europäer mit modernen Schätzungen, die sich aus archäologischen Untersuchungen ableiten lassen. In Abfallhaufen dieser Zeit des Niedergangs – und im kollektiven Gedächtnis der Menschen – finden sich außerdem Belege für Zwangskannibalismus. Aus derselben Quelle stammen die Nachweise aus früherer Zeit, die einen einst sehr reichhaltigen, ausgewogenen und vielseitigen Speiseplan der Inselbewohner belegen.
    Grund für diese dramatische Entwicklung waren nicht allein die Tradition der Ahnenstatuen und der zunehmende Ehrgeiz, größere und stattlichere Kolosse aufzustellen als die Nachbarstämme. Schon die biologischen und geologischen Gegebenheiten der Insel waren misslich, weil insbesondere der Baumschwund dadurch noch beschleunigt wurde. Aber dennoch trug die Kultur der Steinkolosse zum Raubbau an den natürlichen Lebensgrundlagen der Bewohner der Osterinsel nicht unerheblich bei. Es ging ja nicht nur um Material und Zubehör, sondern auch um die Ernährung der Menschen, wenn sie für die Gemeinschaftsarbeiten abgestellt wurden. Die dafür nötigen Lebensmittelüberschüsse konnten schließlich nicht mehr erwirtschaftet werden. Anfang des 17 . Jahrhunderts wurde die Arbeit an Plattformen und Statuen aufgegeben, ebenso die Feldwirtschaft im großen Stil.

    Der Überlebenskampf muss erbittert geführt worden sein und wird zusätzlich dramatisiert durch die Tatsache, dass die Bewohner ihre Heimatinsel nicht verlassen konnten. Wie im Falle der politischen und wirtschaftlichen Probleme der dann untergegangenen Regenwaldstädte der Maya führte auch auf der Osterinsel der Niedergang zu einer Krise des politischen Systems des Häuptlingstums – der gesellschaftliche Konsens zerbrach. Für die folgenden kämpferischen Auseinandersetzungen um 1680 haben die Archäologen in reicher Zahl Belege gefunden. Die Häuser verfielen, Äcker wurden aufgegeben, die Menschen flüchteten sich in Höhlen. Der Boden schließlich gab eine Vielzahl an Waffen preis, die Kampfspuren aufweisen.
    Mit der alten Ordnung und der Gewissheit, seine Nachkommen versorgt zu wissen, schwand auch der Rückhalt der Religionen und die Macht des Tabus, das im polynesischen Verständnis eine so überaus große Rolle spielte. Als die Europäer zum ersten Mal die Osterinsel erreichten, war diese Entwicklung in vollem Gange, und die Diskrepanz zwischen einigen Zeugnissen der vier Schiffsverbände, die nach und nach die Insel erreichten, erklärt sich aus diesem dramatischen Umbruch. Denn immer mehr der einst so verehrten Statuen wurden umgeworfen, so dass die letzte noch stehende Statue 1838 bestätigt wird. Auch die Plattformen, die ja Teil der Kultstätte waren, wurden entweiht und ihre Steine zweckentfremdet. Seither lag das kulturelle Erbe der Insel in Trümmern; erst in jüngerer Zeit wurden einige der Statuen wieder aufgerichtet.

    1722 betrat erstmals ein Europäer die abgelegene Insel – jedenfalls der erste, der verbürgt ist, und auch nur

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