Die neuen Weltwunder - In 20 Bauten durch die Weltgeschichte
gänzlich weggelassen wurden. Keine Statue glich einer anderen bis aufs Haar, bei aller stereotypen Gestaltung weisen sie doch jeweils individuelle Züge auf. Meist finden sie sich an der Küste und schauen, vom Wasser abgewandt, übers Land. Als Augen besaßen sie ursprünglich weißes Korall mit rötlichem Gestein oder dem Vulkanglas Obsidian für die Pupille. So vollendet, vermitteln die Statuen den lebendigen, ein wenig verunsichernden Eindruck eines stumm himmelwärts blickenden Giganten. Von den einsetzbaren Augen wurden allerdings nur wenige Reste gefunden, da sie später von den Inselbewohnern zu Kalk verbrannt wurden, um ihre Häuser zu weißeln. Unklar ist auch, ob die Statuen stets mit Augen belebt waren oder nur zu bestimmten Zeremonien oder Festtagen. Denn auffälligerweise hat keiner der frühen Besucher der Insel von den doch sehr eindrücklichen Augen berichtet, sondern allenfalls von leeren Augenhöhlen.
Jedes Teilgebiet der Insel besaß eigene Statuen, in deren Fundamenten die verbrannten Leichname der Vorfahren bestattet wurden. Im Unterschied zu anderen polynesischen Inseln wurden auf der Osterinsel die Toten lange Zeit kremiert. Über die Insel verteilt konnten Forscher insgesamt rund dreihundert dieser ahu genannte Plattformen identifizieren, jeweils bis zuvier Meter hoch und ursprünglich wohl an die hundertfünfzig Meter breit, von denen 113 mit ein bis maximal fünfzehn Statuen versehen waren.
Die Steinkolosse der Osterinsel sind wohl Ableitungen ähnlicher Bauten im östlichen Polynesien: Dort wurden ebenfalls Plattformen aus Stein errichtet, um darin die Toten zu bestatten, auf denen allerdings Tempel errichtet wurden, oder man stellte ebenfalls Statuen aus Stein auf, mitunter auch aus Holz – allerdings in einem sehr viel bescheideneren Maßstab.
Vermutungen, die Statuen könnten Abbildungen von Göttern sein, haben sich im Verlauf ihrer Erforschung nicht bestätigt. Mit größter Wahrscheinlichkeit wurden sie zur Erinnerung an wichtige, ranghohe Vorfahren aufgestellt, die von den Einheimischen verehrt wurden. In ihrer Monumentalität und Würde stellten die Skulpturen eine Verbindung her zwischen den lebenden Menschen und der Welt der Toten und sollten die Insel und ihre Bewohner beschützen. Auf der noch stärker als auf Tahiti oder Hawaii stammesgebundenen Gesellschaft der Osterinsel nahmen die verstorbenen Ahnen des Stammes wichtige Schutzfunktionen wahr, ihnen oblag auch der Schutz von Haus und Feld. Der unvergängliche Stein bewahrte die spirituelle Kraft der Vorfahren – vergleichbar mit den monolithischen Denkmälern der europäischen Steinzeit. Die Stellung der Hände auf dem Bauch entspricht sowohl polynesischer als auch neuseeländischer Tradition, um die Bewahrung rituellen Wissens und mündlicher Überlieferung auszudrücken. Vermutlich wohnte den Statuen mana inne, die schöpferisch-religiöse Urkraft, die bei den Polynesiern eine wichtige Rolle spielte.
Auf der Osterinsel wurden die Statuen mit der Zeit immer monumentaler; die größte je aufgestellte ist auch die jüngste. Auch die Plattformen, die anfangs gar keine Statuen trugen, wurden über die Jahrhunderte, vermutlich zwischen 1000 und 1600 , immer größer. In späterer Zeit erhielten Statuen auch zylinderförmige »Hüte« aus Vulkanschlacke, pukao genannt, für sich genommen abermals tonnenschwer. Sie wurden den Köpfen aufgesetzt, bevor man die Statuen mühsam auf ihrem vorgesehenen Standort aufrichtete.
Da die Insel nicht zentral regiert wurde, sondern von verschiedenen Stammesverbänden, dürfte die zunehmende Größe auf eine Art Wettbewerb zurückzuführen sein: Der Ehrgeiz eines Stammesverbandes verlangte es, möglichst stattliche Statuen zu errichten – man überbot sich eine Weile gegenseitig, musste aber gleichzeitig das nicht unwesentliche Problem von Transport und Aufstellung lösen. Wohl kaum zufällig wurde die größte je aus dem Vulkangestein der Insel gemeißelte Statue nie vom Steinbruch wegbewegt.
Wie im Fall der riesigen Monolithe in Westeuropa und insbesondere der Steinkreise von Stonehenge war auch im Falle der Moais lange Zeit völlig rätselhaft, wie sie im Inselsteinbruch Rano Raraku am gleichnamigen Vulkan im Osten der Insel hergestellt, zu den vorgesehenen Standplätzen transportiert und dort aufgerichtet wurden. Den Bewohnern der Osterinsel standen schließlich weder Radwagen noch Zugtiere noch Metallwerkzeug zur Verfügung.
Der unvermeidliche Erich von Däniken, ein Schweizer
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