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Die neuen Weltwunder - In 20 Bauten durch die Weltgeschichte

Die neuen Weltwunder - In 20 Bauten durch die Weltgeschichte

Titel: Die neuen Weltwunder - In 20 Bauten durch die Weltgeschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Ingmar Gutberlet
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umstrittenen Angaben China ausgiebig bereiste und in seinen Berichten die Große Mauer nicht einmal erwähnte. Eben das ist einer der Gründe, warum skeptische Leser anzweifeln, dass der große Reisende tatsächlich in China war. Die ersten gesichert authentischen Berichte über die Große Mauer, die Europa erreichten, stammen von Jesuiten, die seit Ende des 16 . Jahrhunderts nach China kamen.

    Was Millionen Touristen aus aller Welt heute in Augenschein nehmen, ist das Ergebnis der letzten Bauphase der Großen Mauer zwischen 1368 und 1644 . Zur Zeit der Ming-Dynastie mit ihren absolutistisch herrschenden Kaisern wurde die Mauer, insbesondere unter Kaiser Hongzhi seit 1493 , umfassend aus- und neu gebaut: stärker, höher, technisch anspruchsvoller und jetzt ausschließlich aus Stein und Ziegeln. Es schien geraten, den anti-mongolischen Schutzwall nach dem neuesten Stand der Technik auszubauen. Die Ming-Kaiser mochten die Mongolenherrschaft abgelöst haben, die Gefahr aus dem Norden konnte aber schwerlich als gebannt gelten, denn die Nomadenvölker jenseits der Grenze blieben China kriegerisch gesinnt. Meist im Abstand von mehreren Hundert Metern wurden rund zwölf Meter hohe Wachtürme errichtet, die zur Signalgebungund als Waffendepots dienten – geschätzte fünfundzwanzigtausend Türme dürften es im Ganzen gewesen sein. Weitere mehrere Tausend Türme im Landesinneren sollten im Falle eines Angriffs die Hauptstadt durch Signalfeuer in Windeseile in Kenntnis setzen.
    Aber auch die gigantische, neu ausgebaute Grenzmauer und die dreihunderttausend Soldaten, die man zu ihrer Bewachung aufbot, konnten nicht verhindern, dass abermals Nomadenvölker aus dem Norden in China einfielen und so zum allmählichen Niedergang der Ming-Kaiser beitrugen. Anfang des 17 . Jahrhunderts wurden die verschiedenen Mandschu-Stämme vereinigt, doch es dauerte noch drei Jahrzehnte, bis die Ming-Dynastie fiel. 1644 setzte der Mandschu-Regent Dorgon über die Große Mauer und zur Machtübernahme in China an, begünstigt durch verheerende innerchinesische Aufstände. Ein chinesischer Brigadegeneral, der wohl seine Haut retten wollte, öffnete die Tore der Mauer und ermöglichte den mandschurischen Truppen, in China einzufallen. Keine sechs Wochen später nahmen sie Peking ein. Seither regierten Mandschuren in Peking, das seit inzwischen fast vier Jahrhunderten chinesische Hauptstadt war, wenn auch mit Unterbrechungen. Sie begründeten die letzte Dynastie Chinas: Qing. Die Qing-Kaiser mussten sich allerdings erst einmal in ganz China durchsetzen, bevor sie das Reich der Mitte zur unangefochtenen Großmacht in Asien, die es auch heute noch ist, machen konnten – und dann trotz gegenteiliger Bemühungen erleben, dass sich die eigenen Leute, also die Mandschu, immer mehr »chinesisierten«.

    Die Chinesische Mauer hatte damit als eigentlich nicht übermäßig erfolgreiches militärisches Bollwerk ausgedient, denn die Grenzen des chinesischen Kaiserreiches lagen längst jenseits der alten Verteidigungslinien. Der monumentale Zweckbau wurdevernachlässigt, ja zweckentfremdet – sei es für den Baustoffbedarf öffentlicher Arbeiten, sei es als Material für den privaten Häuslebau. Als billiger Steinbruch wird die Chinesische Mauer an abgelegenen Stellen vermutlich bis heute unbemerkt genutzt, auch wenn sie seit einigen Jahren offiziell unter Denkmalschutz steht. Der heutige Stolz der Chinesen für dieses größte Bauwerk der Menschheit entwickelte sich erst in Reaktion auf die Bewunderung des Westens: vergleichsweise spät also. Erst zur Zeit der Republik China Anfang des 20 . Jahrhunderts griff die Faszination für die »Große Mauer« im Norden des Reichs der Mitte auf die Chinesen selbst über. Zum Nationalsymbol schlechthin avancierte die Chinesische Mauer gar erst seit den späten Siebzigerjahren.

    Als genügten die schieren Ausmaße des gigantischen Bauwerks, des größten der Erde, nicht zur Einreihung in die Phalanx der Weltwunder, kursiert seit vielen Jahrzehnten die Mär, die chinesische Mauer sei das einzige Menschengemachte auf der Erde, das vom Weltraum aus sichtbar sei. Diese Legende geht zurück auf einen Artikel aus dem Jahr 1923 im US -amerikanischen Magazin National Geographic , das diese Behauptung ungefährdet aufstellen konnte, denn damals war die Raumfahrt über die literarischen Fantasien Jules Vernes noch nicht nennenswert hinausgekommen. Als schließlich Jahrzehnte später die bemannte Raumfahrt ihren Siegeszug antrat,

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