Die Neunte Gewalt
die Sekunden verschaffte, die er benötigte.
Endlich erstarb das Feuer der Maschinenpistolen. Kimberlain richtete sich in die Hocke auf. Er hatte sich zu eng gegen den Wagen gedrückt, um einen der Schützen sehen zu können, doch als er unter dem Pathfinder gelegen hatte, hatte er alle drei Beinpaare gesehen. Er blieb hocken, während sich der Schütze auf der Fahrerseite langsam näherte. Der Fährmann wartete, bis sein herankommender Widersacher die Überreste der Tür erreicht hatte und in der Erwartung, die Leiche seines Opfers zu sehen, in das Fahrerhaus spähte. In diesem Augenblick sprang Kimberlain auf und erhob sich hoch über den zusammengedrückten Pathfinder. Er erschoß zuerst den Mann hinter dem Wagen und riß die Waffe herum, während der Kopf des Mannes noch nach hinten geschleudert wurde. Die nächsten drei Kugeln schlugen in die Brust des Mannes vor dem Wagen ein. Doch mittlerweile war der Angreifer, der einen Blick in den demolierten Pathfinder geworfen hatte, zurückgesprungen; er hatte den Finger noch am Abzug. Das instinktive Manöver brachte ihn jedoch genau in die Schußlinie des Fährmanns. Kimberlain schoß zweimal; beide Kugeln trafen, und der Mann brach zusammen. Sein Gesicht war nur noch eine blutige Masse.
Kimberlains Atem beruhigte sich etwas. Er zögerte kurz und kam dann hinter den Überresten des Pathfinders vor, um sein Werk zu begutachten. Das gedämpfte Geräusch eines auf dem Asphalt knirschenden Absatzes drang an seine Ohren. Im nächsten Augenblick machte Kimberlain einen Sprung, und ein Kugelhagel regnete an der Stelle hinab, an der er gerade noch gestanden hatte.
Die Attentäter waren zu viert gewesen!
Die Geschosse aus der Maschinenpistole verfolgten ihn und peitschten Asphaltbrocken in die Luft. Kimberlain versuchte sich aufzurichten, um wenigstens einen Zufallstreffer landen zu können, doch eine weitere Salve prallte von den Überresten des Pathfinders ab. Ein Querschläger traf seine Sig Sauer und riß sie ihm aus der Hand. Kimberlain setzte ihr kurz nach, doch eine weitere Salve zwang ihn, sich zu Boden zu werfen.
Er fand sich direkt vor dem Maschendrahtzaun wieder. Nun blieb ihm nur noch ein einziger Fluchtweg. Die Schüsse waren verstummt, und der Fährmann wußte, daß sein unsichtbarer Gegner das Magazin wechselte. Er warf sich über den Zaun und spurtete über den harten Erdboden zum Rohbau des Wohnheims. Ein Bauwagen bot ihm Deckung. Vor ihm befand sich ein behelfsmäßiger Weg, der zu einer Tür ohne Stufen führte. Kimberlain überlegte blitzschnell, welche Möglichkeiten ihm blieben, und fand eine.
Kugeln pfiffen ihm um die Ohren, als der Fährmann in den Rohbau sprang.
Dort drückte er sich gegen eine Wand und wartete; vielleicht folgte ihm der Schütze ja auf dem Fuße. Mittlerweile vernahm er das Jaulen von Sirenen. Vielleicht bewog die Gefahr, eintreffenden Gesetzeshütern in die Arme zu laufen, den letzten Attentäter zur Flucht, doch Kimberlain bezweifelte es. Wahrscheinlich hatte er den hohen, schwach erhellten Bau durch einen anderen Eingang betreten und setzte dem Fährmann nun nach.
Kimberlain hatte keine andere Wahl, als sich in Bewegung zu setzen. Sein Verfolger hatte nicht den geringsten Grund zur Eile. Er wußte, daß der Fährmann nun unbewaffnet war, und gegen den Attentäter sprach lediglich – in vieler Hinsicht aber auch gegen sie beide –, daß irgendwann die Polizei eintreffen würde. Doch Kimberlain hatte etwas anderes im Sinn, das er zu seinem Vorteil einsetzen wollte: Den Rohbau des Studentenheims selbst.
Er vermutete, daß das Erdgeschoß und auch alle Etagen darüber nach einem bestimmten Grundriß konstruiert waren: eine Reihe von kleinen Apartments um einen größeren Gemeinschaftsbereich. Viele Wände fehlten ganz oder teilweise, wodurch so etwas wie ein Labyrinth entstand. Die Decken waren ebenfalls nur zum Teil eingezogen oder waren noch gar nicht vorhanden. Das Gebäude schien über insgesamt vier oder fünf Stockwerke zu verfügen. Kimberlain konnte durch einige Öffnungen den freien Himmel ausmachen.
Sägespäne und die Überreste von Fiberglasisolierungen drangen ihm in die Augen und dann in die Nase. Der Fährmann legte die Hand vor den Mund und lief weiter. Vor ihm erhob sich eine unvollendete Treppe, und er stieg sie vorsichtig hinauf. Die Stufen bogen nach links ab und hoben sich dann geradeaus weiter. Er erreichte das erste Stockwerk.
Von unten drang das Geräusch kreischender Reifen und zuschlagender
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