Die Neunte Gewalt
Stahl streifte. Mit der Nase berührte er fast das rotierende Sägeblatt; Öl und weitere Reste des Sägemehls drangen in seine Augen. Der Attentäter schob ihn nach vorn; er spürte, daß er die Sache jetzt zu einem Ende bringen konnte. Der Fährmann brauchte alle Kraft, die er aufbringen konnte, um sich festzuhalten, war damit aber unfähig, sich gegen weitere Schläge zu verteidigen. Er wußte, daß er das Patt nicht mehr lange beibehalten konnte. Ein höchst gefährlicher Positionswechsel war seine einzige Hoffnung.
Mit einer plötzlichen Bewegung drehte Kimberlain den ganzen Körper. Dem Angreifer nun ins Gesicht sehend, umklammerte er die Schultern des Mannes. Sein Widersacher drängte ihn zurück, und der Hinterkopf des Fährmanns berührte fast die rotierende Klinge. Ausdruckslose Augen starrten ihn an, und die Hände des Mannes versuchten, genug Kraft aufzubringen, um ihn endgültig hinabzuzwingen.
Kimberlain rammte den rechten Arm gegen die Luftröhre des Attentäters, fand dessen Adamsapfel und drückte zu. Der Mann wich zurück, wodurch es Kimberlain möglich war, mit der linken Hand nach dem Einschaltknopf der Säge zu greifen.
Klick.
Der wilde, erzürnte Hieb des Attentäters trieb Kimberlain gegen die Klinge, doch sie drehte sich nicht mehr. Der Fährmann verstärkte den Druck auf den Adamsapfel.
Der Mann jaulte auf und zerrte Kimberlain hoch. Der Fährmann leistete keinen Widerstand, sondern ging mit der Bewegung. Der Attentäter glaubte wahrscheinlich, ihn endlich zu haben, glaubte es bis zu dem Augenblick, da Kimberlains Hände sich um seine Jacke schlossen und ihn mitrissen, seinen eigenen Schwung ausnutzend. Kimberlain ließ den Mann nicht los, duckte sich, drückte seine Schultern gegen die Sperrholzwand und rammte dem Mann das Knie in den Unterleib. Der Attentäter konnte nichts tun, um dem Manöver auszuweichen, und wurde hochgeworfen. Er riß sich los, um sich drehen und seinen Sturz abfangen zu können, und begriff zu spät, daß er genau auf das Loch zustürzte, in das eine Treppe eingelassen werden sollte. Er schlug verzweifelt mit den Armen um sich, versuchte, sich irgendwo festzuhalten, fand jedoch nichts. Sein Schrei zerriß die Nacht und endete mit einem dumpfen Aufprall fünf Stockwerke tiefer.
Während das Jaulen weiterer Polizeisirenen näherkam, lief Kimberlain schon dem Hinterausgang entgegen.
Er rief Lauren Talley von einem Münzfernsprecher in einem Café einen Kilometer südlich an der Ecke Brook und Wickenden Street an.
»Probleme, Lauren«, sagte er, als sie abgehoben hatte.
»Sind Sie noch in Providence?«
»Nicht weit entfernt von der Brown University.«
»Leeds?«
»Nicht genau.« Kimberlain faßte kurz zusammen, was geschehen war.
Lauren Talley nahm seinen Bericht ruhig hin. »Ich schicke Agenten von unserem Büro in Boston zu Ihnen. In einer Stunde werden sie dort sein. Sie werden diskret vorgehen.«
»Die Mühe können die Leute sich sparen.«
»Können Sie sich zum Flughafen durchschlagen?«
»Sobald ich einen Wagen aufgetrieben habe.«
»In einer halben Stunde geht eine Maschine nach Atlanta. Ich sorge dafür, daß sie festgehalten wird, bis Sie an Bord sind. Gehen Sie direkt zum Flugsteg durch. Tut mir leid, daß ich Ihnen nicht den Lear-Jet schicken kann.«
»Ich nehme an, den brauchen Sie selbst.«
»Ich will nicht, daß Sie allein nach Georgia fliegen.«
»Ich wußte nicht, daß ich überhaupt nach Georgia fliege.«
»Wir haben heute morgen darüber gesprochen.«
»Später, habe ich gesagt, Lauren.«
»Und jetzt ist später, Jared.«
11
»Daisy, Georgia«, las Lauren Talley von einem gelben Notizblock ab, der auf ihren Knien lag. »Hundertfünfzehn Einwohner.«
»Hauptsächlich Schwarze«, sagte Kimberlain hinter dem Steuer.
»Fast alle. Sechzehn weiße Einwohner; dreizehn von ihnen bildeten drei der neunzehn Familien der Stadt.«
Kimberlain umfaßte das Lenkrad fester. In Hartsdale hatte eine Privatmaschine auf ihn gewartet und ihn zum Savannah International Airport gebracht, wo Lauren Talley ihn schon erwartete. Ihr Mietwagen stand auf der Rollbahn, bereit für die halbstündige Fahrt nach Daisy.
»Glauben Sie, daß das irgend etwas zu bedeuten hat?« fragte Talley ihn.
»Das Verhältnis in der anderen Stadt war fast umgekehrt. Nein, ich glaube nicht, daß die Rassenzugehörigkeit eins der Kriterien ist, nach denen er seine Opfer auswählt.«
»Sie haben die Akten gelesen.«
»Nur überflogen.«
»Hat man Ihnen irgend etwas
Weitere Kostenlose Bücher