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Die Neunte Gewalt

Titel: Die Neunte Gewalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jon Land
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gestorben. Er suchte sie sorgfältig aus und verhinderte behutsam jedes Schema. Doch das reichte ihm noch nicht. Er lebte von seinen Phantasien, doch wollte er sie entwicklungsfähig halten, mußte er sie irgendwie mit der Wirklichkeit verschmelzen.
    Er nahm eine Stellung als Physiklehrer an einer High-School an. Drei glorreiche Monate lang gewann er das Vertrauen seiner Schüler und stellte sich das Ende vor, von dem nur er wußte, daß es kommen würde. Er sorgte dafür, daß die Behörden den Schulbus fanden, und machte alles um vieles schöner, indem er es so einrichtete, daß man die Leichen der sechsundzwanzig Schüler niemals finden würde.
    Danach schlug er eine kurze Laufbahn als Arzt ein, bei der es fast genauso viele Opfer gab, Leeds aber unendlich mehr Vergnügen empfand, da er immer nur einen Patienten nach dem anderen tötete und niemals dieselbe Methode zweimal anwandte. Man konstatierte jedesmal natürliche Todesursachen, und als die Polizei endlich hinter den Zusammenhang kam, war Leeds schon wieder verschwunden. Er stellte fest, daß er nur noch eine gewisse Zeit von seinen Phantasievorstellungen leben konnte; sein Verstand war wie eine Parkuhr, bei der jede nachfolgende Münze weniger Parkzeit verschaffte.
    Seine Identität als Psychiater erwies sich als unerfüllt und frustrierend. Er haßte es, das Geschwätz seiner Patienten zu hören, die sich über das dunkle Böse beklagten, das ihnen das Leben zur Hölle machte. Ergebt euch doch! wollte er ihnen sagen. Gebt euch dem Bösen hin, erst dann werdet ihr euer wahres Ich erkennen … Doch Leeds wußte, daß sie niemals auf ihn gehört hätten, und so machte er nach drei Monaten des Praktizierens den Problemen seiner Therapiegruppe für immer ein Ende.
    Später, als Professor für forensische Pathologie, mußte er enttäuscht feststellen, daß seine brillanten Studenten mehr daran interessiert waren, gute Noten zu bekommen, als ihren Horizont zu erweitern. War es das, was die Welt erwartete? Würde sie dieser Horde lebender Toten überlassen werden? Dieser Gedanke brachte Leeds auf die Idee, wie er seinen Abschied von dieser Identität feiern könnte. Er fragte sich, ob jemand die Symbolik erkennen würde.
    Sein kurzer Aufenthalt an der Universität bestätigte seine Überzeugung, daß die Verrückten, Straftäter und Ausgestoßenen am besten dafür geeignet waren, die Welt zu erben. Im Lauf der nächsten Monate nahm dieser Traum allmählich Gestalt an; er brauchte nur die Mittel, um ihn auch zu verwirklichen. Und als er – während seiner Existenz als Candy Man – diese Mittel gefunden hatte, konnte Leeds seine Erregung kaum verbergen.
    Doch um seine Ziele zu erreichen, mußte er in die unter dem Spitznamen ›The Locks‹ bekannte Anstalt eingewiesen werden. Nur in deren Mauern würde er die letzten Pinselstriche auf sein Gemälde von der Zukunft anbringen können:
    Eine Welt, deren Innerstes nach außen gekehrt werden würde. Der Wahn, in den er bislang hatte fliehen müssen, würde ihn dort erwarten. Er konnte die Hand nach ihm ausstrecken und ihn berühren.
    Und so hatte er den besten Widersacher überlistet, mit dem er es je zu tun bekommen hatte. Er hatte die größte Stärke dieses Widersachers in eine Schwäche verwandelt. Sollte er doch den Nervenkitzel der Jagd empfinden. Sollte Kimberlain doch überzeugt sein, die Fährte aufgenommen zu haben und ihr zu folgen. In jeder Hinsicht ein brillanter Schachzug.
    Doch der Fährmann war noch immer irgendwo dort draußen, und Leeds würde keine Ruhe finden, bis er ihn endlich aus dem Weg geräumt hatte.
    »Wo soll ich anfangen?« fuhr Andrew Harrison Leeds fort.
    Zwei der vier Wände des Konferenzraums waren von Karten der Vereinigten Staaten bedeckt, die beiden anderen von Weltkarten. Schwache, auf diese vier Karten gerichtete Scheinwerfer stellten die einzige Beleuchtung des Raumes dar, so daß dessen dunkelste Stelle der Konferenztisch war, an dem acht von neun Stühlen von schweigenden Gestalten besetzt waren. Leeds trat zum noch freien Stuhl am Kopf des Tisches und nahm dort Platz.
    »Mit einer Entschuldigung natürlich. Es tut mir leid, daß ich zu spät komme, meine Freunde, doch es ließ sich nicht verhindern. Meine Arbeit ist so gut wie abgeschlossen. In ein paar Wochen wird Kansas ausliefern, und kurz darauf werden wir mit der Verteilung beginnen. Jetzt müssen wir nur noch warten – darauf warten, daß eine verrottete Gesellschaft von ihren Schwächen gesäubert wird.«
    Andrew

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