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Die Neunte Gewalt

Titel: Die Neunte Gewalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jon Land
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Briarwood; hätten sie seinen vollständigen Besitz erfassen sollen, wären Tausende mehr nötig gewesen.
    Ein einziger Bildschirm auf der großen Wand blieb leer, bis Leeds einen Wiedergabeknopf direkt neben seinem Zeigefinger drückte. Augenblicklich flammte das Bild eines Mannes auf, der in einem Motorboot stand und auf ein Dock zuhielt. Leeds aktivierte den Schnellvorlauf, bis eine Großaufnahme des Gesichts den Bildschirm ausfüllte; dann schaltete er auf das Standbild um.
    »Kimberlain«, murmelte er. »Diesmal wirst du mich nicht fassen. Diesmal werde ich es nicht zulassen.«
    Leeds ließ das Band in Zeitlupe weiterlaufen und studierte jede Bewegung, jede Geste des Fährmanns. Er wollte das Band schon zurückspielen, um es noch einmal zu betrachten, als er plötzlich hochfuhr.
    »Ah«, sagte er laut, »die Konferenz.«
    Er erhob sich vollends und trat zur Tür des Konferenzraums. Ihr Kameraauge erfaßte ihn, und sie öffnete sich vollautomatisch.
    Andrew Harrison Leeds trat in die undurchsichtige Dunkelheit eines fensterlosen Zimmers.
    »Guten Tag«, sagte er zu den Gestalten, die an dem runden Tisch in der Mitte des Raumes saßen. »Und es ist wirklich ein sehr guter Tag …«
    Andrew Harrison Leeds hatte zum erstenmal im Alter von zehn Jahren getötet. Er wollte den Hund eines Nachbarn streicheln, und das Tier biß ihn. Leeds spürte den stechenden Schmerz und riß die Hand zurück. Der Hund knurrte und setzte ihm nach.
    Leeds erwiderte das Knurren.
    Das war das erste Mal, daß er die rohe, ungezähmte Wut verspürte, die ihn danach zu immer neuen, größeren Taten getrieben hatte. Aber er beherrschte diese Wut. Er schlug nicht nach dem Hund, sondern kehrte ins Haus seiner Eltern zurück und stahl aus der Küche ein scharfes Messer und aus dem Kühlschrank ein kleines Steak. Leeds wartete, bis der Hund in den benachbarten Wald davonstreunte, und folgte ihm. Nachdem er ihn im Schutz der Bäume gefunden hatte, streckte er das Fleisch als Friedensangebot aus. Er war völlig überzeugend, gestand nicht einmal sich selbst seine Absicht ein. Das Tier zögerte nur kurz. Doch noch bevor sich seine Kiefer um das Fleisch schlossen, stach Leeds zu und trieb dem Hund die Klinge ins Herz.
    Er hörte sein Jaulen, und es gefiel ihm.
    Später tötete er noch andere Tiere, doch es machte nie wieder so großen Spaß. Er mußte es unbedingt einmal bei einem Menschen versuchen … Leeds gab sich seinen Wunschträumen hin. In seiner Vorstellung war die Tat immer ganz einfach und … befriedigend. Eine Weile genügten ihm diese Vorstellungen. Irgendwo lag die Wirklichkeit, doch sie schien keine große Rolle zu spielen. Die Wirklichkeit war immer das, was man schuf. Das hatte Leeds bereits in der Schule herausgefunden. Er wußte, wie intelligent er war, viel intelligenter als die gripslosen Wichte, die ihn unterrichteten. Aber er zeigte seine Klugheit niemals, hielt sein wahres Selbst bedeckt, offenbarte es niemandem.
    Später traf er sich mit einem jüngeren Mädchen aus der Nachbarschaft, das sich häufig im Wald aufhielt. Es war oft schmutzig und hatte manchmal blaue Flecke oder sogar ein blaues Auge. Es erklärte, es wolle ausreißen. Leeds sagte, er würde ihr helfen.
    Wenn er jetzt zurückdachte, mußte er sagen, daß es kaum anders gewesen war als bei dem Hund. Er brachte dem Mädchen etwas zu essen, um ihr Vertrauen zu gewinnen, und während sie aß, schlang er einen Strick um ihren Hals und erwürgte sie. Nachdem Leeds die Leiche des Mädchens neben der des Hundes begraben hatte, kehrte er nach Hause zurück und hörte Radio.
    Er war zwölf Jahre alt.
    Seine Eltern begriffen nie, wie klug er wirklich war. Niemand begriff es, denn Leeds verbarg seine Intelligenz. Sie sahen nur, was er ihnen zeigen wollte. Leeds konnte die Menschen dazu bringen, ihn gernzuhaben, ihn zu hassen, ihm zu folgen. Er konnte sie in Angst und Schrecken versetzen, sie aufheitern, sie für sich einnehmen, sie fertigmachen. Sie waren nur Spielzeuge für ihn. Doch sie gaben seinen Phantasievorstellungen Nahrung und verhinderten, daß er allzu oft den Wald aufsuchen mußte.
    Erst auf dem College enthüllte er, was wirklich in ihm steckte, denn auf diese Art schien er schneller zur Herrschaft über seine Umwelt gelangen zu können. Herrschaft war schließlich das, was das Leben ausmachte. Töten hatte mit Herrschaft zu tun. Leeds konnte einen Körper töten, aber auch eine Seele. Mit dreißig Jahren waren bereits drei Dutzend Menschen durch seine Hand

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