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Die Neunte Gewalt

Titel: Die Neunte Gewalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jon Land
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sich verwirklichten. Aber der Erfolg kann noch immer euch gehören. Kommt mit mir, meine Freunde. Begleitet mich, wenn ich euch auf eine Reise in den Abgrund der Seele eines Menschen mitnehme, wenn ich das Innere der Welt nach außen kehre, damit sie endlich gesunden und rechtens werden kann. Es ist an der Zeit, sich aus den Spalten zu erheben, hervorzukriechen aus den Rissen, in die die Gesellschaft diejenigen von uns gesteckt hat, die das Leben gut genug verstehen, um es zum Ausdruck bringen zu können. Die Welt wird uns nicht länger begraben.« Er ergriff die wächsernen Hände Hitlers und Katharinas der Großen, die zu beiden Seiten am Kopf des Tisches saßen. »Gesellt euch auf einem Kreuzzug zu mir, bei dem über zweihundertfünfzig Millionen Menschen sterben werden, während ich nur mit einem Auge blinzle. Ein Kreuzzug, bei dem sie von einer Vision hinweggewischt werden, die sich nicht länger verleugnen läßt.«
    »Was ist mit dem Fährmann?« glaubte Leeds eine der Figuren fragen zu hören.
    Leeds' Gesicht begann zu zucken. Seine linke Wange pulsierte und schien sein eingefallenes Auge überwuchern zu wollen. Sein Atem ging schneller. Die Wachshände verformten sich unter seinem Griff.
    »Um ihn habe ich mich bereits gekümmert.«
    »Du hast deine Chance bereits verpaßt.«
    »Du hättest ihn töten sollen. Du hättest vor seinem Haus warten und ihn töten sollen.«
    »Er kann dich zur Strecke bringen. Er ist der einzige, der dazu fähig ist.«
    Leeds löste seinen Griff, und die Wachsklumpen, die einmal sorgfältig geformte Hände gewesen waren, fielen auf den Tisch. Die Stimmen der gescheiterten Eroberer schienen über ihm zusammenzuschlagen, ihn mit ihren Vorwürfen zu ersticken.
    »Was ist mit der Frau?«
    »Sie ist sehr gefährlich, denn sie weiß von …«
    »Es reicht!« schrie Leeds. Seine Hände umklammerten die Tischplatte, und mit einem unglaublichen Kraftausbruch hob er ihn hoch und kippte ihn um. Der schwere Tisch knallte zu Boden und zerstreute die Wachsfiguren in alle Richtungen. Hitlers Kopf löste sich vom Rumpf und rollte über den Boden. Der Arm Katharinas der Großen flog durch die Luft und fiel hinab.
    »Ich werde den Fährmann töten! Habt ihr verstanden?« rief Leeds. »Ich werde ihn finden und töten. Und auch die Frau! Reicht euch das? Gottverdammt, reicht euch das?«
    »Wann?« schienen die Stimmen im Einklang zu fragen.
    »Heute abend noch!« tobte Leeds, und dann wurde seine Stimme unheimlich ruhig. »Heute abend.«

16
    Garth Seckle schlief draußen, manchmal in einem Zelt, manchmal unter dem Sternenhimmel. Die Luft war heute abend dicker, aber angenehm kühl für den Sommer. Wäre es zu kalt gewesen, hätte er sich unbehaglich gefühlt und vielleicht kurz ein Feuer anzünden müssen. Doch er wollte auf alles verzichten, was auf ihn aufmerksam machen konnte. Er war allein, und so mußte es auch bleiben. Keine Spur hinterlassen, keine Fährte, der man folgen konnte. Das hatte er bislang vermieden, und so wollte er es auch weiterhin halten.
    Er hatte im Lauf seines Lebens schon viele Namen getragen, doch keiner davon bedeutete ihm soviel wie der, mit dem das Land ihn nun belegt hatte: Tiny Tim.
    Unglaublich! Die Presse war so kreativ, daß sie ihn nach einem unschuldigen, kleinen, verkrüppelten Jungen benannt hatte, der keiner Fliege etwas zuleide tun konnte. Nun ja, er tat Fliegen genau wie verkrüppelten Jungs etwas zuleide. Er traf keinen Unterschied zwischen ihnen.
    Er hatte einen großen Teil seines linken Fußes verloren, und damals hatte sein Leben sich zum erstenmal verändert. In manchen Nächten ließ der kalte Wind seinen Fuß schlimmer als gewöhnlich schmerzen. Heute fühlte sich der Wind besänftigend an. Es gefiel ihm, die Socke auszuziehen und den Fuß zu betrachten, denn lediglich dieser Fuß erinnerte ihn daran, wer er wirklich war und welche Aufgabe noch vor ihm lag.
    Seckle drehte sich auf dem Gras um und zog seinen Rucksack heran, um ihn als Kissen zu benutzen. Die Nacht war so warm, daß er seinen Schlafsack nicht als Decke zweckentfremden mußte. Er schlief nie in dem Schlafsack. Zu eng, besonders für einen Menschen von zwei Metern und fünf Zentimetern Größe und fast 150 Kilo Gewicht. Seckle hatte es niemals gemocht, eingeengt zu werden. Er hatte die Instinkte eines wilden Tiers. Ein Mann, der allein lebte und allein jagte.
    Die beiden Städte waren kein Problem für ihn gewesen, vier gesegnete Stunden, während denen der Tod neben ihm stand und jede

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