Die New-York-Trilogie: Stadt aus Glas. Schlagschatten. Hinter verschlossenen Türen
Grund nicht kannte, deutete sie sie als ein Übermaß von Leidenschaft – als das Verhalten eines unruhigen, allzu hitzigen Mannes, der nach dem lechzte, was er sich am meisten wünschte (was auch stimmte). Ja, sagte sie, sie wolle mich heiraten. Hatte ich wirklich gedacht, sie würde mich abweisen?
«Und ich möchte auch Ben adoptieren», sagte ich. «Ich will, dass er meinen Namen trägt. Es ist wichtig, dass er in dem Glauben aufwächst, dass ich sein Vater bin.»
Sophie antwortete, dass sie es nicht anders haben wolle. Es sei das einzig Sinnvolle – für uns alle drei.
«Und ich möchte, dass es bald geschieht», fuhr ich fort. «So bald wie möglich. In New York zieht sich die Scheidung ein Jahr lang hin – und das ist zu lange, ich könnte es nicht aushalten, so lange zu warten. Aber es gibt andere Orte. In Alabama, Nevada, Mexiko. Gott weiß, wo. Wir könnten eine Urlaubsreise machen, und wenn wir zurückkommen, bist du frei, mich zu heiraten.»
Sophie sagte, es gefalle ihr, wie das klinge – «frei, mich zu heiraten». Wenn das bedeute, für eine Weile irgendwohin zu fahren, wolle sie fahren. Sie würde hingehen, wohin immer ich wolle.
«Schließlich», sagte ich, «ist er nun mehr als ein Jahr fort, beinahe anderthalb Jahre. Es dauert sieben Jahre, bis ein Toter offiziell für tot erklärt werden kann. Das Leben geht weiter. Denk einmal nach: Wir kennen uns beinahe ein Jahr.»
«Um genau zu sein», antwortete Sophie, «du kamst am fünfundzwanzigsten November neunzehnhundertsechsundsiebzig zum ersten Mal durch diese Tür herein. In acht Tagen ist es genau ein Jahr.»
«Du erinnerst dich noch?»
«Natürlich erinnere ich mich. Es war der wichtigste Tag meines Lebens.»
Wir nahmen am siebenundzwanzigsten November ein Flugzeug nach Birmingham, Alabama, und waren in der ersten Dezemberwoche zurück in New York. Am elften wurden wir im Rathaus getraut, und danach gingen wir mit ungefähr zwanzig Freunden zu einem Abendessen und tranken viel Alkohol. Wir verbrachten diese Nacht im Plaza, ließen uns am Morgen das Frühstück aufs Zimmer kommen und flogen später am Tag mit Ben nach Minnesota. Am achtzehnten gaben uns Sophies Eltern eine Hochzeitsparty in ihrem Haus, und am Abend des vierundzwanzigsten feierten wir norwegische Weihnachten. Zwei Tage später verließen Sophie und ich den Schnee und flogen für anderthalb Wochen auf die Bermudas, dann kehrten wir nach Minnesota zurück, um Ben zu holen. Wir planten, uns nach einer neuen Wohnung umzusehen, sobald wir wieder in New York sein würden. Irgendwo über dem westlichen Pennsylvania, nach ungefähr einer Flugstunde, pinkelte Ben durch die Windeln auf meinen Schoß. Als ich ihm den großen dunklen Fleck auf meiner Hose zeigte, lachte er, schlug die Hände zusammen, sah mir dann gerade in die Augen und nannte mich zum ersten Mal Pa.
Fünftes Kapitel
I ch vergrub mich in der Gegenwart. Mehrere Monate vergingen, und nach und nach schien es möglich zu sein, dass ich überlebte. Es war ein Leben in einem Fuchsbau, aber Sophie und Ben waren bei mir da unten, und das war alles, was ich wirklich wollte. Solange ich daran dachte, nicht aufzublicken, konnte uns die Gefahr nichts anhaben.
Wir zogen im Februar in eine Wohnung am Riverside Drive. Bis wir uns eingerichtet hatten, war es bereits Frühling, und ich kam wenig dazu, an Fanshawe zu denken. Wenn der Brief auch nicht ganz aus meinen Gedanken verschwand, so stellte er doch nicht mehr dieselbe Drohung dar. Ich fühlte mich nun sicher mit Sophie, und ich glaubte, dass uns nichts auseinanderbringen konnte – nicht einmal Fanshawe, nicht einmal der leibhaftige Fanshawe. Oder so erschien es mir damals, wann immer ich zufällig daran dachte. Ich verstehe jetzt, wie sehr ich mich täuschte, aber das fand ich erst viel später heraus. Der Definition nach ist ein Gedanke etwas, dessen man sich bewusst ist. Die Tatsache, dass ich nicht ein einziges Mal aufhörte, an Fanshawe zu denken, dass er in all den Monaten Tag und Nacht in mir war, war mir damals nicht klar. Und ist es, wenn man sich eines Gedankens nicht bewusst ist, legitim zu sagen, dass man denkt? Ich war vielleicht verfolgt, ich war sogar besessen – aber es gab keine Anzeichen dafür, keine Hinweise, die mir gesagt hätten, was vor sich ging.
Das tägliche Leben war für mich nun ausgefüllt. Ich bemerkte kaum, dass ich weniger arbeitete als in den Jahren davor. Ich hatte keine Arbeit, zu der ich am Morgen gehen musste, und da Sophie und Ben
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