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Die New-York-Trilogie: Stadt aus Glas. Schlagschatten. Hinter verschlossenen Türen

Die New-York-Trilogie: Stadt aus Glas. Schlagschatten. Hinter verschlossenen Türen

Titel: Die New-York-Trilogie: Stadt aus Glas. Schlagschatten. Hinter verschlossenen Türen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Auster
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bei mir in der Wohnung waren, fiel es mir nicht schwer, Vorwände zu finden, meinen Schreibtisch zu meiden. Meinen Arbeitsplan hielt ich nicht ein. Anstatt jeden Tag um Punkt neun zu beginnen, war ich manchmal nicht vor elf oder halb zwölf in meinem kleinen Zimmer. Dazu kam, dass Sophies Gegenwart eine ständige Versuchung war. Ben machte noch ein- oder zweimal am Tag sein Nickerchen, und in diesen stillen Stunden, in denen er schlief, fiel es mir schwer, nicht an ihren Körper zu denken. Meistens liebten wir uns. Sophie hungerte danach ebenso sehr wie ich, und als die Wochen vergingen, wurde das Haus langsam erotisiert, in ein Reich der sexuellen Möglichkeiten verwandelt. Die Unterwelt stieg an die Oberfläche herauf. Jedes Zimmer nahm seine eigene Erinnerung an, jede Stelle beschwor einen anderen Augenblick herauf, sodass selbst in der Ruhe des praktischen Lebens ein bestimmtes Stück Teppich oder die Schwelle einer bestimmten Tür nicht mehr einfach ein Gegenstand war, sondern eine Empfindung, ein Echo unseres erotischen Lebens. Wir waren in das Paradoxon der Begierde eingetreten. Unser Bedürfnis nach einander war unerschöpflich, und je mehr es befriedigt wurde, desto mehr schien es zu wachsen.
    Ab und zu sprach Sophie davon, dass sie sich nach einer Stellung umsehen wolle, aber keiner von uns hielt das für dringlich. Unser Geld reichte aus, und es gelang uns sogar, eine beachtliche Summe auf die Seite zu legen. Fanshawes nächstes Buch, Wunder , war in Vorbereitung, und der Vorschuss bei Vertragsschluss war stattlicher gewesen als bei Niemalsland . Nach dem Plan, den Stuart und ich entworfen hatten, sollten die Gedichte sechs Monate nach Wunder kommen, dann Fanshawes frühester Roman, Blackouts , und zuletzt alle Theaterstücke. Die Tantiemen für Niemalsland begannen in diesem März hereinzukommen, und als plötzlich Schecks für dieses und jenes eintrafen, verflüchtigten sich alle Geldprobleme. Wie alles andere, was geschah, war dies eine neue Erfahrung für mich. In den letzten acht oder neun Jahren war mein Leben eine ständige Jagd nach Geld gewesen, ein wilder Sprung von einem armseligen Artikel zum nächsten, und ich hatte mich glücklich geschätzt, wenn ich einmal mehr als ein oder zwei Monate vorausschauen konnte. Die Sorge war mir in Fleisch und Blut übergegangen, und ich wusste kaum, was es hieß zu atmen, ohne mich zu fragen, ob ich die Gasrechnung bezahlen konnte. Nun erkannte ich zum ersten Mal, seitdem ich mich selbständig gemacht hatte, dass ich an diese Dinge nicht mehr zu denken brauchte. Eines Morgens, als ich an meinem Schreibtisch saß und mit dem letzten Satz eines Artikels rang und nach einer Wendung suchte, die mir nicht einfallen wollte, dämmerte mir allmählich, dass mir eine zweite Chance gegeben worden war. Ich konnte dies aufgeben und neu beginnen. Ich brauchte keine Artikel mehr zu schreiben. Ich konnte mich anderen Dingen zuwenden, anfangen, die Arbeit zu tun, die ich immer hatte tun wollen. Dies war meine Chance, mich zu retten, und ich kam zu dem Schluss, dass ich ein Narr wäre, sie nicht zu ergreifen.
    Weitere Wochen vergingen. Ich ging jeden Morgen in mein Zimmer, aber nichts geschah. Theoretisch fühlte ich mich inspiriert, und immer wenn ich nicht arbeitete, hatte ich den Kopf voll von Ideen. Doch jedes Mal, wenn ich mich hinsetzte, um etwas zu Papier zu bringen, schienen sich meine Gedanken aufzulösen. Die Worte starben in dem Augenblick, in dem ich die Feder hob. Ich begann mit einer Anzahl von Projekten, aber nichts ließ sich wirklich umsetzen, und ich gab eines nach dem anderen wieder auf. Ich suchte nach Entschuldigungen, um zu erklären, warum ich nichts zustande brachte, und bald hatte ich eine ganze Litanei beisammen: die Anpassung an das Eheleben, die Verantwortung als Vater, mein neues Arbeitszimmer (das zu eng zu sein schien), die alte Gewohnheit, unter Termindruck zu schreiben, Sophies Körper, der plötzliche finanzielle Gewinn – alles. Mehrere Tage lang spielte ich sogar mit der Idee, einen Detektivroman zu schreiben, aber dann kam ich mit dem Aufbau der Handlung nicht zurecht und konnte die Teile nicht zusammensetzen. Ich ließ meine Gedanken ziellos schweifen und hoffte, mir einreden zu können, dass Müßiggang ein Hinweis war, dass man Kräfte sammelte, ein Zeichen, dass bald etwas geschehen würde. Mehr als einen Monat lang schrieb ich nur Zitate aus Büchern heraus. Eines davon, von Spinoza, heftete ich mir an die Wand: «Und wenn er träumt,

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