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Die New-York-Trilogie: Stadt aus Glas. Schlagschatten. Hinter verschlossenen Türen

Die New-York-Trilogie: Stadt aus Glas. Schlagschatten. Hinter verschlossenen Türen

Titel: Die New-York-Trilogie: Stadt aus Glas. Schlagschatten. Hinter verschlossenen Türen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Auster
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ist die Frage des Motivs. Beinahe sechs Jahre danach habe ich noch immer keine Antwort gefunden. Zu sagen, dass sie mich unwiderstehlich fand, wäre zu weit hergeholt, und ich will mir nichts vormachen. Es ging viel tiefer, war viel unheimlicher. Seit einiger Zeit frage ich mich, ob sie in mir nicht irgendwie einen Hass auf Fanshawe spürte, der ebenso stark war wie ihr eigener. Vielleicht fühlte sie diese unausgesprochene Verbindung zwischen uns, vielleicht war es eine Art von Verbindung, die nur durch einen perversen, zügellosen Akt ausgelebt werden konnte. Mit mir zu vögeln würde so viel heißen, wie mit Fanshawe zu vögeln – wie mit ihrem eigenen Sohn zu vögeln –, und in der Dunkelheit dieser Sünde würde sie ihn wieder haben – aber nur, um ihn zu vernichten. Eine schreckliche Rache. Wenn das wahr ist, kann ich mir nicht anmaßen, mich ihr Opfer zu nennen. Wenn irgendetwas, war ich ihr Komplize.
    Die Dinge nahmen ihren Lauf, nachdem sie angefangen hatte zu weinen – als Jane schließlich erschöpft war und ihre Worte zerbrachen, sich in Tränen auflösten. Betrunken, voller Mitgefühl, stand ich auf, ging zu ihr hinüber und legte tröstend meine Arme um sie. Das trug uns über die Schwelle. Die bloße Berührung genügte, um eine sexuelle Reaktion auszulösen, eine blinde Erinnerung an andere Körper, andere Umarmungen, und einen Augenblick später küssten wir uns, und dann, nicht viele Augenblicke später, lagen wir nackt auf ihrem Bett im ersten Stock.
    Obwohl ich betrunken war, war ich nicht so weit verloren, dass ich nicht wusste, was ich tat. Aber nicht einmal das Schuldgefühl genügte, um mich aufzuhalten. Es geht vorüber, sagte ich mir, und niemandem wird es weh tun. Es hat nichts mit meinem Leben, nichts mit Sophie zu tun. Aber dann, als es passierte, entdeckte ich, dass es mehr war als das. Denn es gefiel mir, Fanshawes Mutter zu ficken – aber auf eine Weise, die nichts mit Lust zu tun hatte. Ich war von Verlangen verzehrt, und zum ersten Mal in meinem Leben spürte ich keine Zärtlichkeit. Ich fickte aus Hass und machte daraus einen Akt der Gewalt, ich stieß diese Frau, als wollte ich sie zermalmen. Ich war in meine eigene Dunkelheit eingedrungen, und dort lernte ich das eine, das schrecklicher ist als alles andere: dass sexuelle Begierde auch die Begierde zu töten sein kann, dass ein Moment kommt, in dem es einem Mann möglich ist, den Tod dem Leben vorzuziehen. Diese Frau wollte, dass ich ihr weh tat, und ich tat ihr weh und stellte fest, dass ich meine Grausamkeit in vollen Zügen genoss. Aber selbst da wusste ich, dass ich nur halb am Ziel war, dass Jane nicht mehr als ein Schatten war und dass ich sie benutzte, um Fanshawe selbst anzugreifen. Als ich mich das zweite Mal in ihr verströmte – wir beide mit Schweiß bedeckt, stöhnend wie Geschöpfe in einem Albtraum –, verstand ich das endlich. Ich wollte Fanshawe töten, ich wollte, dass Fanshawe tot war, und ich wollte es tun. Ich wollte ihn aufspüren und töten.
    Ich ließ sie im Bett schlafend zurück, schlich aus dem Zimmer und rief vom Telefon im Parterre aus ein Taxi. Eine halbe Stunde später saß ich im Bus nach New York. Im Port Authority Terminal ging ich in die Toilette und wusch mir die Hände und das Gesicht, dann nahm ich die U-Bahn stadtauswärts. Ich kam nach Hause, als Sophie gerade den Tisch für das Abendessen deckte.

Siebentes Kapitel
    D ann kam die schlimmste Zeit. Es gab so vieles vor Sophie zu verbergen, dass ich ihr kaum unter die Augen treten konnte. Ich wurde reizbar, unzugänglich, schloss mich in meinem kleinen Arbeitszimmer ein, sehnte mich nur danach, allein zu sein. Lange hatte Sophie Nachsicht mit mir, sie ging mit einer Geduld auf mich ein, die zu erwarten ich nicht das Recht hatte, aber schließlich wurde es sogar ihr zu viel. Wir fingen an, uns zu streiten, aneinander herumzumäkeln, uns wegen Dingen zu zanken, die nichts bedeuteten. Eines Tages kam ich nach Hause und fand sie weinend auf dem Bett vor. Da begriff ich, dass ich nahe daran war, mein Leben zu zerstören.
    Für Sophie war das Buch das Problem. Wenn ich nur aufhörte, daran zu arbeiten, würde alles wieder normal werden. Ich sei zu voreilig gewesen, sagte sie. Das Projekt sei ein Fehler und ich solle nicht so starrsinnig sein und es zugeben. Sie hatte natürlich recht, aber ich hielt ihr die andere Seite vor: Ich hatte mich zu dem Buch verpflichtet, ich hatte einen Vertrag dafür unterschrieben, und es würde feige sein,

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