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Die New-York-Trilogie: Stadt aus Glas. Schlagschatten. Hinter verschlossenen Türen

Die New-York-Trilogie: Stadt aus Glas. Schlagschatten. Hinter verschlossenen Türen

Titel: Die New-York-Trilogie: Stadt aus Glas. Schlagschatten. Hinter verschlossenen Türen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Auster
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wusste. Oder um es anders auszudrücken: Der Fanshawe, den ich gekannt hatte, war nicht der Fanshawe, nach dem ich suchte. Es hatte irgendwo einen Bruch gegeben, einen plötzlichen unbegreiflichen Bruch – und was ich von den verschiedenen Menschen erfuhr, die ich befragte, erklärte ihn nicht. Letzten Endes bestätigten ihre Berichte nur, dass das, was geschehen war, unmöglich geschehen sein konnte. Dass Fanshawe gütig war, dass Fanshawe grausam war – das war eine alte Geschichte, und ich kannte sie schon auswendig. Was ich suchte, war etwas anderes, etwas, was ich mir nicht einmal vorstellen konnte: ein rein irrationaler Akt, etwas, was überhaupt nicht seinem Charakter entsprach, ein Widerspruch zu allem, was Fanshawe bis zum Augenblick seines Verschwindens gewesen war. Ich versuchte immer wieder, ins Unbekannte zu springen, aber jedes Mal, wenn ich landete, fand ich mich auf heimischem Boden wieder, umgeben von Dingen, die mir völlig vertraut waren.
    Je weiter ich ging, desto mehr wurden die Möglichkeiten eingeengt. Vielleicht war das gut so, ich weiß es nicht. Wenn schon sonst nichts, so wusste ich, dass es jedes Mal, wenn ich keinen Erfolg hatte, einen Ort weniger gab, an dem ich suchen musste. Monate vergingen, mehr Monate, als ich gern eingestehen möchte. Im Februar und März verbrachte ich den größten Teil meiner Zeit damit, Quinn zu suchen, den Privatdetektiv, der für Sophie gearbeitet hatte. Seltsamerweise konnte ich keine Spur von ihm finden. Anscheinend war er nicht mehr im Geschäft – weder in New York noch anderswo. Eine Weile untersuchte ich Berichte über nicht identifizierte Leichen, ich befragte Leute, die im städtischen Leichenschauhaus arbeiteten, ich versuchte, seine Familie aufzuspüren – aber ich bekam nichts heraus. Als letzter Ausweg fiel mir ein, einen anderen Privatdetektiv damit zu beauftragen, ihn zu suchen, aber dann beschloss ich, es nicht zu tun. Ein verschwundener Mann war genug, fand ich, und dann schöpfte ich nach und nach die Möglichkeiten aus, die mir noch blieben. Mitte April war ich bei der letzten angelangt. Ich hielt noch ein paar Tage aus in der Hoffnung, doch noch Glück zu haben, aber es ergab sich nichts. Am Morgen des einundzwanzigsten ging ich in ein Reisebüro und buchte einen Flug nach Paris.

    Ich sollte am Freitag fliegen. Am Dienstag gingen Sophie und ich in die Stadt, um einen Plattenspieler zu kaufen. Eine von Sophies jüngeren Schwestern war im Begriff, nach New York zu übersiedeln, und wir wollten ihr unseren alten Plattenspieler schenken. Die Idee, ihn zu ersetzen, lag schon lange in der Luft, und nun hatten wir endlich einen Vorwand, einen neuen zu kaufen. Daher machten wir uns an diesem Dienstag auf den Weg, kauften das Ding und schafften es in einem Taxi nach Hause. Wir stellten ihn an derselben Stelle auf wie den alten und packten diesen in die neue Schachtel. Eine schlaue Lösung, dachten wir. Karen sollte im Mai kommen, und inzwischen wollten wir ihn irgendwo aufbewahren, wo er uns nicht im Wege war. Und da stießen wir auf ein Problem.
    Lagerraum war knapp wie in den meisten New Yorker Wohnungen, und es sah so aus, dass wir keinen mehr übrig hatten. Der eine Schrank, der noch einige Hoffnung bot, stand im Schlafzimmer, aber der Boden war schon vollgestopft mit Schachteln – einen Meter tief, sechzig Zentimeter hoch und einen Meter zwanzig in der Breite –, und im oberen Teil war nicht genug Platz. Dort standen die Kartons mit Fanshawes Sachen (Kleider, Bücher, dies und das), und sie waren dort seit dem Tag, an dem wir eingezogen waren. Weder Sophie noch ich hatten gewusst, was wir damit anfangen sollten, als wir ihre alte Wohnung ausgeräumt hatten. Wir hatten in unserem neuen Leben nicht von Erinnerungen an Fanshawe umgeben sein wollen, aber zugleich hatten wir Skrupel gehabt, die Sachen wegzuwerfen. Die Kartons waren ein Kompromiss gewesen, und schließlich waren sie uns gar nicht mehr aufgefallen. Sie waren ein Teil der häuslichen Landschaft geworden – wie das zerbrochene Bodenbrett unter dem Wohnzimmerteppich, wie der Riss in der Wand über unseren Betten –, unsichtbar im Fluss des täglichen Lebens. Nun, als Sophie die Tür des Schranks öffnete und hineinsah, änderte sich ihre Stimmung plötzlich.
    «Genug davon», sagte sie und hockte sich im Schrank nieder. Sie schob die Kleider beiseite, sodass die Kleiderbügel gegeneinanderklickten, und wühlte verzweifelt in dem Durcheinander. Es war ein plötzlicher Zorn, und

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