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Die New-York-Trilogie: Stadt aus Glas. Schlagschatten. Hinter verschlossenen Türen

Die New-York-Trilogie: Stadt aus Glas. Schlagschatten. Hinter verschlossenen Türen

Titel: Die New-York-Trilogie: Stadt aus Glas. Schlagschatten. Hinter verschlossenen Türen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Auster
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geworden. Ich begann Medizin zu studieren, weil er mich darin bestärkte zu tun, was ich tun wollte, und ich bin ihm heute noch dankbar dafür.
    Mitten in unserem zweiten Jahr sagte mir Fanshawe, dass er das College verlassen wolle. Es überraschte mich nicht wirklich. Cambridge war nicht der richtige Ort für Fanshawe, und ich wusste, dass er ruhelos war und darauf brannte fortzugehen. Ich sprach mit meinem Vater, der die Gewerkschaft der Seeleute vertrat, und er fand für Fanshawe den Job auf dem Schiff. Der Papierkram war rasch erledigt, und ein paar Wochen später war Fanshawe schon fort. Ich hörte mehrere Male von ihm – Postkarten von da und dort. Hallo, wie geht es dir. In diesem Stil. Es machte mir jedoch nichts aus, und ich war froh, dass es mir möglich gewesen war, etwas für ihn zu tun. Aber dann bekam ich die Quittung für all diese guten Empfindungen. Ich war vor ungefähr vier Jahren einen Tag in der Stadt, ging die Fifth Avenue entlang und begegnete Fanshawe, direkt dort auf der Straße. Ich war erfreut, ihn zu sehen, richtig überrascht und glücklich, aber er sprach kaum mit mir. Es war, als hätte er vergessen, wer ich war. Sehr steif, beinahe grob. Ich musste ihm meine Adresse und Telefonnummer regelrecht aufdrängen. Er versprach, mich anzurufen, aber er hat es natürlich nie getan. Das war verletzend, kann ich Ihnen sagen. Der Dreckskerl, dachte ich, was glaubt er, wer er ist? Er wollte mir nicht einmal sagen, was er so machte – er wich einfach meinen Fragen aus und schlenderte weiter. So viel zu den alten College-Tagen, dachte ich. So viel zur Freundschaft. Es hinterließ einen schlechten Nachgeschmack. Letztes Jahr kaufte meine Frau eines seiner Bücher und schenkte es mir zum Geburtstag. Ich weiß, es ist kindisch, aber ich habe nicht das Herz gehabt, es aufzuschlagen. Es steht nun im Regal als Staubfänger. Sehr seltsam, nicht wahr? Alle sagen, es sei ein Meisterwerk, aber ich glaube nicht, dass ich mich je dazu durchringen kann, es zu lesen.»
    Dies war die klarste Äußerung, die ich von irgendjemandem bekam. Einige der Männer vom Öltanker hatten auch etwas zu sagen, aber nichts, was wirklich meinem Zweck diente. Otis Smart, zum Beispiel, erinnerte sich an die Liebesbriefe, die Fanshawe für ihn geschrieben hatte. Als ich ihn per Telefon in Baton Rouge erreichte, sprach er ausführlich von ihnen, und er zitierte sogar einige der Wendungen, die sich Fanshawe ausgedacht hatte («mein Liebling Zwinkerzehe», «meine Kürbisbreifrau», «meine Schwelgetraum-Verruchtheit» und so weiter), und er lachte, als er davon sprach. Das Verdammte an der Sache war, dass sich Sue-Ann die ganze Zeit, während er ihr diese Briefe schickte, mit einem anderen herumtrieb, und an dem Tag, an dem er heimkam, sagte sie ihm, dass sie demnächst heiraten wolle. «Aber es ist gut so», fügte Smart hinzu. «Ich bin Sue-Ann letztes Jahr daheim begegnet, und sie hat es auf rund dreihundert Pfund gebracht. Sie sieht aus wie die Karikatur einer fetten Lady – stolzierte die Straße hinunter in einer orangefarbenen Stretch-Hose, und eine Horde von Bälgern brüllte um sie herum. Ich musste lachen, als ich an die Briefe dachte. Aber dieser Fanshawe hat mich wirklich fertiggemacht. Er fing mit einer seiner Zeilen an, und ich wälzte mich auf dem Boden wie ein Affe. Zu schlimm, was da passiert ist. Man hört nicht gern, dass einer so jung schon seinen Löffel abgibt.»
    Jeffrey Brown, der jetzt Küchenchef in einem Restaurant in Houston ist, war Hilfskoch auf dem Schiff. Er erinnerte sich an Fanshawe als den einzigen weißen Mann der Besatzung, der freundlich zu ihm gewesen war. «Es war nicht leicht», sagte Brown. «Die Mannschaft war zum größten Teil eine Bande von Schlägern, und sie hätten mich eher angespuckt als guten Tag gesagt. Aber Fanshawe hielt zu mir, und es war ihm gleich, was die anderen dachten. Wenn wir nach Baytown oder in eine andere Stadt kamen, gingen wir zusammen an Land, um zu trinken oder uns Mädchen zu suchen. Ich kannte diese Städte besser als Fanshawe, und ich sagte ihm, wenn er bei mir bleiben wolle, würden wir nicht in die normalen Matrosenbars gehen können. Ich wusste, was mein Arsch in solchen Lokalen wert war, und wollte keine Scherereien. Kein Problem, sagte Fanshawe, und wir gingen in die schwarzen Viertel, überhaupt kein Problem. Meistens war es recht ruhig auf dem Schiff – nichts, womit ich nicht fertigwurde. Aber dann kam für ein paar Wochen dieser grobe Typ an Bord.

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