Die New-York-Trilogie: Stadt aus Glas. Schlagschatten. Hinter verschlossenen Türen
er schien sich mehr gegen sie selbst als gegen mich zu richten.
«Genug wovon?» Ich stand auf der anderen Seite des Bettes und betrachtete ihren Rücken.
«Von allem», sagte sie und schob immer noch die Kleider hin und her. «Genug von Fanshawe und seinen Kartons.»
«Was willst du mit ihnen tun?» Ich setzte mich auf das Bett und wartete auf eine Antwort, aber sie sagte nichts. «Was willst du mit ihnen tun, Sophie?», fragte ich noch einmal.
Sie drehte sich zu mir um, und ich konnte sehen, dass sie den Tränen nahe war. «Wozu ist ein Schrank gut, wenn man ihn nicht einmal benutzen kann?», sagte sie. Ihre Stimme zitterte, sie verlor die Beherrschung. «Ich meine, er ist tot, nicht wahr? Und wenn er tot ist, wozu brauchen wir dann diesen ganzen … diesen ganzen» – sie fuchtelte mit den Händen und suchte nach dem Wort – «Mist. Es ist, als lebte man mit einer Leiche.»
«Wenn du willst, können wir heute die Heilsarmee anrufen», sagte ich.
«Ruf sie jetzt an. Bevor wir noch ein weiteres Wort sagen.»
«Das tue ich. Aber zuerst müssen wir die Kartons aufmachen und durchsortieren.»
«Nein, es soll alles weg, alles auf einmal.»
«Gut, was die Kleider anbetrifft», sagte ich. «Aber die Bücher wollte ich noch eine Weile behalten. Ich wollte eine Liste anlegen und nachsehen, ob es irgendwelche Randnotizen gibt. Ich könnte in einer halben Stunde fertig sein.»
Sophie sah mich ungläubig an. «Du verstehst gar nichts, nicht wahr?», sagte sie. Und dann, als sie aufstand, kamen ihr endlich die Tränen – Kindertränen, Tränen, die nichts zurückhielten, die ihr über die Wangen liefen, als wüsste sie gar nicht, dass sie da waren. «Ich komme nicht mehr zu dir durch. Du hörst einfach nicht, was ich sage.»
«Ich tue mein Bestes, Sophie.»
«Nein, das tust du nicht. Du glaubst es nur, aber du tust es nicht. Siehst du nicht, was geschieht? Du machst ihn wieder lebendig.»
«Ich schreibe ein Buch, das ist alles – nur ein Buch. Aber wie kann ich hoffen, damit fertig zu werden, wenn ich es nicht ernst nehme?»
«Es ist mehr als das. Ich weiß es, ich kann es spüren. Wenn es mit uns beiden weitergehen soll, muss er tot sein. Verstehst du das nicht? Selbst wenn er lebt, muss er tot sein.»
«Was redest du da? Natürlich ist er tot.»
«Nicht mehr sehr lange. Nicht, wenn du so weitermachst.»
«Aber du warst diejenige, die mich dazu gebracht hat. Du wolltest, dass ich das Buch mache.»
«Das war vor hundert Jahren, mein Liebling. Ich habe solche Angst, dich zu verlieren. Ich könnte es nicht ertragen.»
«Es ist beinahe fertig, ich verspreche es dir. Diese Reise ist der letzte Schritt.»
«Und was dann?»
«Wir werden sehen. Ich kann nicht wissen, in was ich hineingerate, solange ich nicht drin bin.»
«Eben davor habe ich Angst.»
«Du könntest mitkommen.»
«Nach Paris?»
«Nach Paris. Wir drei könnten zusammenbleiben.»
«Das glaube ich nicht. Nicht so, wie die Dinge jetzt stehen. Du fliegst allein. Falls du dann zurückkommst, wird es wenigstens deshalb sein, weil du es willst.»
«Was meinst du mit ‹falls›?»
«Genau das. ‹Falls.› ‹Falls du zurückkommst.›»
«Das kannst du nicht ernst meinen.»
«Aber ich meine es ernst. Wenn es so weitergeht, werde ich dich verlieren.»
«Sprich nicht so, Sophie.»
«Ich kann mir nicht helfen. Du bist so nahe daran, schon fort zu sein, dass ich manchmal denke, ich sehe dich vor meinen Augen verschwinden.»
«Das ist Unsinn.»
«Du irrst dich. Wir nähern uns dem Ende, mein Liebling, und du weißt es nicht einmal. Du wirst verschwinden, und ich werde dich nie wiedersehen.»
Achtes Kapitel
I n Paris schien mir alles seltsamerweise größer zu sein. Der Himmel war gegenwärtiger als in New York, seine Launen waren flüchtiger. Ich fühlte mich zu ihm hingezogen, und in den ersten ein oder zwei Tagen beobachtete ich ihn ständig – ich saß in meinem Hotelzimmer, studierte die Wolken und wartete darauf, dass etwas geschah. Das waren nördliche Wolken, die Traumwolken, die sich immerzu verändern, zu riesigen grauen Bergen aufbauen, in kurzen Schauern entladen, sich zerstreuen, wieder sammeln, sich vor die Sonne schieben und das Licht auf eine immer wieder andere Weise brechen. Der Pariser Himmel hat seine eigenen Gesetze, und sie funktionieren unabhängig von der Stadt darunter. Wenn die Gebäude fest erscheinen, in der Erde verankert, unzerstörbar, so ist der Himmel weit und formlos, in ständigem Aufruhr. Während der
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