Die New-York-Trilogie: Stadt aus Glas. Schlagschatten. Hinter verschlossenen Türen
Ein Kerl namens Cutbirth, Roy Cutbirth. Er war ein blöder Schreihals von einem Öler, der schließlich davongejagt wurde, als der Chefingenieur herausbekam, dass er keine blasse Ahnung von Maschinen hatte. Er hatte beim Ölertest gemogelt, um den Job zu bekommen – genau der richtige Mann da unten, wenn man das Schiff in die Luft jagen will. Dieser Cutbirth war dumm, gemein und dumm. Er hatte diese Tätowierungen auf seinen Knöcheln, Liebe und Hass, einen Buchstaben auf jedem Finger: L-O-V-E auf der rechten Hand und H-A-T-E auf der linken. Wenn man diese verrückte Scheiße sah, wollte man ihm bloß noch aus dem Weg gehen. Dieser Kerl prahlte einmal Fanshawe gegenüber damit, wie er daheim in Alabama seine Samstagabende verbrachte – er saß auf einem Hügel über der zwischenstaatlichen Autobahn und schoss auf Autos. Ein reizender Mensch, wie man’s nimmt. Und dann hatte er dieses kranke Auge, ganz blutunterlaufen und kaputt. Aber er prahlte auch damit gern. Irgendwann war ihm ein Stück Glas hineingeflogen. Das war in Selma, sagte er, als sie Flaschen nach Martin Luther King warfen. Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, dass dieser Cutbirth nicht mein Busenfreund war. Er starrte mich immer an, murmelte etwas vor sich hin und nickte, aber ich achtete nicht darauf. So ging es eine Weile. Dann versuchte er es einmal, als Fanshawe in der Nähe war, und er sprach ein bisschen zu laut, sodass Fanshawe ihn nicht ignorieren konnte. Er wandte sich Cutbirth zu und fragte: ‹Was haben Sie da gesagt?› Und Cutbirth, eklig und frech, sagte so etwas wie: ‹Ich frage mich nur, wann du und das Dschungelhäschen heiraten werden, Schatz.› Fanshawe war immer friedlich und freundlich, ein richtiger Gentleman, wenn Sie wissen, was ich meine, und deshalb war ich nicht auf das gefasst, was kam. Es war, wie wenn man im Fernsehen diesen Mann sieht, der sich in eine Bestie verwandelt. Er wurde plötzlich wütend, ich meine rasend, außer sich vor Zorn. Er packte Cutbirth am Hemd und warf ihn gegen die Wand, hielt ihn fest und keuchte ihm direkt ins Gesicht. ‹Sag das nie wieder›, sagte er, und seine Augen brannten. ‹Sag das nie wieder, oder ich bringe dich um.› Und man glaubte es ihm, als er das sagte. Der Mann war bereit zu töten, und Cutbirth wusste es. ‹War ja nur ein Scherz›, sagte er. ‹Ich habe ja bloß einen kleinen Scherz gemacht.› Und das war das Ende. Das Ganze dauerte nicht länger als einen Augenblick. Ungefähr zwei Tage später wurde Cutbirth gefeuert, und das war ein Glück. Wer weiß, was geschehen wäre, wenn er noch länger geblieben wäre.»
Dutzende solcher Berichte wurden mir zugetragen, in Briefen, Telefongesprächen, Interviews. Es ging monatelang weiter, und von Tag zu Tag wurde das Material umfangreicher. Mehr und mehr Zusammenhänge taten sich auf, eine Kette von Verbindungen, die schließlich ein eigenes Leben annahm. Es war ein unermesslich hungriger Organismus, und zuletzt sah ich, dass ihn nichts davon abhielt, so groß wie die Welt zu werden. Ein Leben berührt ein anderes, das seinerseits wieder ein anderes Leben berührt, und sehr schnell sind die Vernetzungen unzählig und nicht mehr einzuschätzen. Ich wusste von einer fetten Frau in einer kleinen Stadt in Louisiana; ich wusste von einem wahnsinnigen Rassisten mit Tätowierungen auf den Fingern. Ich wusste von Dutzenden von Menschen, von denen ich nie zuvor gehört hatte, und jeder war ein Teil von Fanshawes Leben gewesen. Alles gut und schön, vielleicht, und man könnte sagen, dass gerade diese Überfülle an Wissen bewies, dass ich weiterkam. Ich war schließlich ein Detektiv, und es war meine Aufgabe, nach Hinweisen zu suchen. Mit einer Million bruchstückhafter, wahlloser Informationen versehen und auf eine Million falscher Pfade geführt, hatte ich nun den einen Pfad zu finden, der mich dorthin bringen würde, wo ich hinwollte. Bislang war die wesentliche Tatsache die, dass ich ihn noch nicht gefunden hatte. Keiner dieser Menschen hatte in den letzten Jahren von Fanshawe gehört oder ihn gesehen, und wenn ich nicht alles bezweifeln wollte, was sie sagten, wenn ich nicht über jeden von ihnen Nachforschungen anstellen wollte, musste ich annehmen, dass sie die Wahrheit sagten.
Worauf es letzten Endes hinauslief, denke ich, war eine Frage der Methode. In einem gewissen Sinne wusste ich bereits alles, was es über Fanshawe zu wissen gab. Was ich erfuhr, vermittelte mir nichts Wichtiges, sprach nicht gegen das, was ich bereits
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