Die Nichte der Marquise - Die Nichte der Marquise
an. »Eurer Aufmerksamkeit dürfte entgangen sein, dass ich noch andere Verpflichtungen hier am Hof habe, als Spitzeldienste zu leisten«, entgegnete er kühl. »Ihr habt das Geld vorbereitet?«
»Natürlich.« Sie nahm einen Beutel von der Kommode. »Fünfhundert Livres. Wie immer, Jean.«
»Angesichts unserer lang anhaltenden Geschäftsbeziehung verzichte ich darauf, nachzuzählen.« Er ließ den Beutel in seine Tasche gleiten. »Chevalier de Rossac ist sechsundzwanzig Jahre alt. Er hat einen zwei Jahre jüngeren Bruder, bei dessen Geburt die Mutter starb. Sein Vater stürzte vor drei Jahren von einem scheuenden Pferd und brach sich das Genick. Seitdem bewirtschaften die Brüder das Anwesen alleine.«
»Ein Anwesen? Welcher Art?«
»Weinberge und Obstplantagen.«
Marie blickte ihn ungläubig an. »Das heißt, er ist ein Bauer?«
»Vermutlich«, entgegnete Jean. »Seine Besitzungen liegen im langue d'oc, nördlich von Narbonne, nahe einer Ortschaft namens Lassieux. Sie grenzen an jene des Herzogs von Mariasse, der ihn protegiert. Chevalier Rossac gilt als sein engster Vertrauter.«
»Nun, dass er eine Affaire mit dem Herzog hat, ist ja allgemein bekannt. Wie weit würde Mariasse gehen, um sein Protegé; vor Unbill zu schützen?«
Jean zuckte die Schultern. »Das kann niemand sagen. In Versailles ist die Macht des Herzogs beschränkt, allerdings soll er auf seinen Gütern herrschen wie unser König hier.«
»Wie sieht es mit Leichen im Keller des Chevaliers aus? Hat er etwas zu verbergen?«
»Die Kürze der Zeit relativiert natürlich meine Erkenntnisse. Immerhin konnte ich bislang keine illegalen Geschäfte und keine Betrügereien herausfinden. Der einzige dunkle Fleck auf seiner weißen Weste sind die Schulden, die auf seinen Besitzungen lasten. Den Gerüchten nach hat ihm der Herzog angeboten, Land von ihm zu kaufen, aber der Chevalier weigert sich, darauf einzugehen. Deshalb ist er hier in Versailles.«
Marie runzelte die Stirn. »Das verstehe ich nicht. Warum ist er hier?«
»Er sucht angeblich eine reiche Erbin, um sie zu heiraten und seinen Besitz von den Schulden zu befreien. Deshalb befindet er sich im Gefolge des Herzogs. Mariasse soll seine Verbindungen für ihn spielen lassen.«
Diese Informationen waren nicht das, worauf Marie gehofft hatte. Es würde schwer sein, einen Hebel zu finden, um einen effizienten Racheplan auszuführen. Würde der Herzog aufhören, seine Beziehungen für den Chevalier zu nutzen, wenn er erfuhr, dass er ihn hemmungslos betrog? Konnte sie eine vorgesehene Braut über den Lebenswandel ihres Zukünftigen aufklären und die Heirat damit verhindern? Möglicherweise würde das ein Mal funktionieren oder zwei Mal, allerdings bestand dabei das Risiko, dass man sie als Drahtzieherin entlarvte und sie sich selbst mehr schadete als dem Chevalier. Eine Intrige dieser Art musste fein gesponnen werden, um nicht der Urheberin angelastet werden zu können. Völlig in Gedanken sagte sie zu Jean: »Gibt es sonst noch etwas, das ich wissen sollte, oder war es das?«
Jean überprüfte im Spiegel den Sitz seiner Livree. »Ich habe Euch alles mitgeteilt, was ich erfahren habe.«
»Gut. Ich danke dir, Jean. Wenn du noch etwas hörst, dann lass es mich wissen, es wird dein Schaden nicht sein.«
»Wie Ihr wünscht, Mademoiselle Callière. Ich werde meine Augen und Ohren offen halten. Aber unter uns gesagt, der Chevalier hat nicht das Format zu einer Betrügerei im großen Stil. Dazu ist er viel zu unbedeutend. Von einem wie ihm gehen dreizehn auf ein Dutzend.«
Er verbeugte sich und ging zur Tür. Mit der Klinke in der Hand fügte er hinzu: »Übrigens, Chevalier de Rossac ist nicht der Geliebte es Herzogs.«
Marie, die zum Fenster getreten war, drehte sich um. »Nein?«
»Nein. Er ist der Liebhaber der Schwester des Herzogs.«
Mit verschränkten Armen trat Marie auf ihn zu. Ein mulmiges Gefühl, das sie nicht benennen konnte, breitete sich in ihr aus. »Weißt du Genaueres darüber? Warum heiratet er nicht diese Schwester? Der Herzog müsste doch über einen Schwager, der seine sexuellen Vorlieben teilt, entzückt sein.«
»Informationen über eine andere Person kosten extra.«
»Die Antwort auf diese Frage ist keine fünfhundert Livres wert, mein Lieber.«
»Vierhundert.«
»Zweihundert.«
»Dreihundert.«
»Zweihundertfünfzig, oder du kannst an deinem Wissen ersticken.« Sie öffnete die Lade einer Kommode und holte einen anderen Beutel heraus, den sie in weiser
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