Die Nichte der Marquise - Die Nichte der Marquise
überhöhten Weingenuss war zweifellos der Chevalier.
Auf ihre Frage, warum er nicht mit ihnen das Abendmahl einnahm, hatte sein Bruder die Schultern gezuckt und etwas von einem Besuch bei alten Freunden gemurmelt. Als sie sich damit nicht zufrieden gab, nannte er ihr den Namen »du Plessis-Fertoc«, und Marie fiel nach einigem Überlegen ein, dass es sich dabei wohl um die Schwester des Duc de Mariasse handeln musste.
Der Eindruck, den sein Handeln bei seinem Bruder und den ebenfalls am Tisch sitzenden Knechten hinterlassen musste, stand außer Frage. Er untergrub ihre Stellung als Frau des Hauses, noch ehe sie wirklich begonnen hatte. Sie verzichtete auf eine Bemerkung darüber, sondern unterhielt sich mit Troy und den am Tisch Sitzenden, als ob nichts geschehen wäre. Zum Ausgleich trank sie mehr, als ihr gut tat.
Egal. Sie schwang die Beine aus dem Bett, ignorierte die Kopfschmerzen samt dem einsetzenden Schwindelgefühl und stand auf. In ihren Morgenmantel gehüllt, huschte sie ins Nebenzimmer, wo sie Fanette vorfand.
»Ich brauche deine Hilfe beim Ankleiden, dann will ich mich hier nochmals umsehen.«
»Natürlich, Madame.« Fanette ließ den Putzlappen in einen Eimer fallen und trocknete sich die Hände ab. »Monsieur Troy ist mit den Knechten zu den Pfirsichbäumen geritten. Außer der Köchin ist niemand im Haus.«
Marie wählte das einfachste Kleid aus ihren Truhen, dennoch fühlte sie sich unpassend gekleidet. Die helle Seide würde innerhalb weniger Stunden vor Schmutz starren. Aber abgesehen von ihrem Reisekostüm besaß sie nur duftige, reich verzierte Gewänder, die zwar am Hof von Versailles angebracht waren, doch zu nichts anderem taugten, als in ihnen müßig herumzustolzieren.
Sie ging mit Fanette nach unten in die Küche. In dem riesigen Raum konnte für Dutzende hungrige Mäuler gekocht werden, es gab zwei Feuerstellen, jede Menge Töpfe und Pfannen, sowie andere Küchengerätschaften. Die Frau, die an der Arbeitsfläche Rüben schälte, wirkte seltsam verloren. Als Marie näher kam, blickte sie von ihrer Arbeit auf. Sie mochte um die Fünfzig sein. Eine dunkle, graumelierte Haarsträhne hatte sich vorwitzig aus der Haube gelöst.
»Ich bin Marie ... de Rossac«, stellte sie sich vor. »In Zukunft werden wir uns über die Menüfolge absprechen. Wie ist dein Name?«
Die Frau glotzte sie an. »Die Menüfolge?«, fragte sie verständnislos. »Ich koche für die Männer, was gerade da ist. Und ich wüsste nicht, worüber wir uns dabei absprechen sollten. Mein Name ist Suzanne Brunet.« Sie runzelte die Stirn. »Seid Ihr die Frau, die Monsieur Tristan aus Versailles mitgebracht hat?«
Marie nickte und die Köchin legte das Messer beiseite. Mit einem abschätzenden Blick musterte sie das helle Seidenkleid. »Madame Rossac, hier laufen die Dinge anders, als Ihr sie gewöhnt seid. Wir arbeiten alle zusammen und wir essen zusammen. Es gibt zwischen uns keine Unterschiede, zumindest nicht jene Unterschiede, wie Ihr sie kennt.«
»Wie darf ich das verstehen?« Marie verschränkte die Arme vor der Brust.
»Einfach gesagt, weder ich noch die anderen sind daran gewöhnt, Befehle auszuführen. Wenn Ihr daran etwas ändern wollt, dann müsst Ihr Euch nach anderen Leuten umsehen.«
Marie ging an der Köchin vorbei, ohne etwas zu erwidern. »Ist das die Speisekammer?«
»Ja«, entgegnete die Frau misstrauisch. »Sie ist bestens in Schuss.«
»Daran zweifle ich nicht. Ich will mir etwas Milch holen, das ist alles, Suzanne«, sagte Marie und nahm einen irdenen Becher von einem Regal. »Wann wird das Mittagessen fertig sein?«
»Wir essen um ein Uhr. Wie immer.«
»Gut, ich sehe mich inzwischen im Haus um.«
Sie fing mit dem Salon an, dessen Türen auf die Terrasse gingen. »Was meinst du, wer macht hier sauber, wenn die Köchin die einzige Frau ist?«
»Einer der Knechte vermutlich. So sieht es ja auch aus«, erwiderte Fanette mit gerümpfter Nase. »Der Boden muss gefegt und geschrubbt werden. Die Vorhänge müssen gewaschen oder ausgewechselt werden. Wir haben so viel Bettwäsche gefunden, da gibt es sicher jede Menge Truhen mit anderen Stoffen. Vielleicht können wir im Dorf nach einem Zimmermädchen suchen.«
Marie stellte sich die Reaktion des Chevaliers auf dieses Ansinnen vor. »Das glaube ich kaum. Wir werden die Sache gemeinsam in Angriff nehmen müssen.«
»Aber Madame ...«, stotterte Fanette verwirrt. »Ihr könnt doch nicht ...«
»Du hast Suzanne gehört. Wir sind hier nicht in
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