Die Nichte der Marquise - Die Nichte der Marquise
Fanette wartete mit einer großen Reisetasche im Salon und schloss sich ihnen an. Das Haus war in der Tat so weitläufig, dass man sich problemlos darin verirren konnte. Marie entschied sich schließlich für eine aus zwei Gemächern bestehende Zimmerflucht, deren Fenster auf die sanfte Hügellandschaft zeigten.
Gemeinsam mit Fanette enthüllte sie die von Tüchern verhängten Möbel. In den Truhen fanden sie Bettwäsche. Als sie mit dem Beziehen fertig waren, hatte Troy ihr Reisegepäck mit einem Knecht ins Zimmer geschafft. »Das ist Nicolas, er wohnt ebenfalls hier. Außer ihm leben noch drei weitere Knechte auf La Mimosa. Die Köchin kommt täglich aus Lassieux, allerdings bleibt sie in der Regel nur bis zum Nachmittag. Abends essen wir kalt. Und wesentlich früher, als Ihr es aus Versailles gewohnt seid.«
»Mir soll's recht sein.« Marie wollte im Augenblick nur die verschwitzten Kleider und das enge Korsett loswerden.
»Gut. Dann sehen wir uns um halb acht.«
Fanette stand mit in die Hüften gestemmten Armen vor den Fenstern. »Die Vorhänge müssen weg. Sie sind verstaubt, und ich wette, sie fallen auseinander, wenn ich sie zuziehe. Es ist ein gutes Haus, bloß völlig verwahrlost.«
»Morgen, Fanette.« Marie fing an, die Knöpfe an ihrem Kleid zu öffnen. »Auch der Boden muss geschrubbt werden, und den Teppich werden wir tüchtig ausklopfen. Aber das hat Zeit bis morgen. Jetzt bring mir Wasser, ich will mich waschen.«
»Ihr wascht Euch einfach zu häufig, Madame, verzeiht mir meine Offenheit, doch das kann nicht gut für Eure zarte Haut sein«, fügte Fanette mit gerümpfter Nase hinzu. »Ich hoffe, Ihr werdet nicht krank. Hier einen Arzt zu finden ...«
»Überlass das mir.« Sie wollte keine Diskussionen, und sie kannte Fanettes Einwände zur Genüge. »Ich möchte, dass du das Zimmer nebenan beziehst.«
»Das ... das ... mit dem Himmelbett?«, stotterte das Mädchen verblüfft. »Aber das ist kein Dienstbotenzimmer.«
»Egal. So bist du immer zur Stelle, wenn ich dich brauche. Und nachdem, was wir gesehen haben, steht das Haus zu drei viertel leer. Wenn jemand Einwand erhebt, werde ich das klären. Mach dir keine Gedanken.«
»Danke, Madame, ich danke Euch aus ganzem Herzen.«
»Schon gut. Und jetzt hol mir Wasser.«
Tris duckte sich über den Hals des Pferdes, als es mit einem lang gestreckten Sprung über die Hecke setzte, die sein Land von dem des Comte du Plessis-Fertoc trennte.
Troy wie üblich betrunken anzutreffen und ihn dabei zu ertappen, dass er - wie üblich - die Dinge einfach schleifen ließ, hatte nicht dazu beigetragen, seine Laune zu heben. Außerdem hatte er damit gerechnet, dass Marie sich von einer hysterischen Ohnmacht in die nächste flüchten würde, wenn sie ihr neues Heim in Augenschein nahm. Was nach Troys kurzem Bericht erstaunlicherweise nicht geschehen war. Trotzdem verspürte er nicht die geringste Lust, mit ihr und seinem Bruder an einem Tisch zu sitzen.
Außerdem vermisste er Ghislaine. Mehr, als er für möglich gehalten hatte. Er warf einem Lakaien die Zügel des Pferdes zu und hastete, zwei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe zum Schloss hinauf.
»Wo finde ich die Comtesse?«, fragte er den Haushofmeister, der ihn an der Tür erwartete. »Ich möchte sie überraschen, du brauchst mich nicht anzukündigen.«
»Sehr wohl, Chevalier de Rossac. Madame la Comtesse befindet sich in ihren Gemächern.«
»Danke, Lefevre.« Er kannte den Weg seit sechs Jahren, und ebenso lange kannte er die steife Förmlichkeit des Mannes, dem niemals auch nur der Hauch eines Lächelns entkommen war.
Vor Ghislaines Tür fuhr er sich noch einmal durchs Haar, ehe er die Klinke drückte und lautlos eintrat. Sie saß an einem zierlichen Sekretär und schrieb. Ihr Kopf war anmutig zur Seite geneigt, das goldbraune Haar floss in weichen Wellen über ihren Rücken. Sie trug einen hellgelben, aus duftigen Spitzen bestehenden Hausmantel und, wie er hoffte, nicht viel mehr als ein dünnes Nachthemd darunter. Er betrachtete sie reglos, gebannt von der unwirklichen Perfektion ihrer Erscheinung, und bedauerte beinahe den Moment, als sie aufblickte und ihn entdeckte.
Ein Lächeln erschien auf ihrem Gesicht, das sich nach und nach in ein Strahlen verwandelte.
»Tris!« Sie sprang auf, ließ die Feder fallen und lief zu ihm, um sich in seine Arme zu werfen. Er fing sie auf, wirbelte sie im Kreis und stellte sie schließlich wieder auf den Boden. »Ich habe dich vermisst«, sagte sie
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