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Die Noete des wahren Polizisten

Die Noete des wahren Polizisten

Titel: Die Noete des wahren Polizisten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Bolaño
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das Verschwinden von Arcimboldi mit den Barbarischen Literaten in Zusammenhang stand? Er wusste es nicht, würde aber weitere Erkundigungen einziehen.

12
     
    Am Abend, nachdem er den Brief vier- oder fünfmal gelesen hatte, hielt es Amalfitano nicht länger in seiner Wohnung. Er zog ein leichtes Sakko über und ging spazieren. Seine Schritte führten ihn ins Stadtzentrum, wo er zunächst über den Platz schlenderte, auf dem die Statue von General Sepúlveda und das bildhauerische Ensemble zur Erinnerung an den Sieg der Bewohner von Santa Teresa über die Franzosen einander die kalte Schulter zeigten, und betrat dann ein Viertel, das, obwohl zwei Straßen vom Zentrum entfernt, alle Anzeichen, alle Stigmata der Armut, Schäbigkeit und Gefahr in sich vereinte – und zeigte. Die rote Zone.
    Der Name amüsierte Amalfitano mit einer Beimischung von bitterer Zärtlichkeit; auch er hatte im Laufe seines Lebens rote Zonen kennengelernt. Zunächst die Arbeiterviertel, die Industriegebiete, später die von der Guerilla befreiten Landstriche. Ein Nuttenviertel rote Zone zu nennen, schien ihm jedoch treffend, und er überlegte, ob die fernen roten Zonen seiner Jugend nicht auch riesige, als Rhetorik und Dialektik getarnte Nuttenviertel waren. Landstriche mit unsichtbaren Nutten, Glanz von Zuhältern und Polizisten, all unsere Mühe, unser langer Gefängnisaufstand.
    Plötzlich fühlte er sich traurig, außerdem hungrig. Wider alle guten Ratschläge und verdauungsfördernde Vorsicht blieb er an der Ecke Avenida Guerrero und General Mina bei einem Imbisswägelchen stehen und kaufte sich eine Schinken-Torta und Malventee, das in seiner glühenden Phantasie dem Jasminnektar oder Pfirsichblütensaft aus dem Chile seiner Kindheit ähnelte. Wie verdammt klug, wie raffiniert diese Mexikaner waren, dachte er, während er sich eine der besten Tortas seines Lebens schmecken ließ: zwischen zwei Brötchenhälften saure Sahne, Schwarze-Bohnen-Mus, Avocado, Salat, Tomate oder Jitomate, drei oder vier Ringe Chipotle-Chili sowie eine dünne Scheibe Schinken, das namengebende und zugleich unwesentlichste Detail des Ganzen. Wie ein Lehrstück der Philosophie. Chinesische Philosophie, versteht sich!, dachte er. Was ihn an jene Verse aus dem Tao Te King erinnerte: »Seine Identität ist das Rätsel / Und in diesem Rätsel / liegt das Tor aller Wunder.« Was war Padillas Identität?, dachte er, während er sich von dem Stand entfernte und auf eine große Leuchtreklametafel in der Mitte der Calle Mina zusteuerte. Das Rätsel, das Wunder, jung zu sein, keine Angst zu haben und plötzlich dann doch. Aber hatte Padilla wirklich Angst oder hatten die Symptome, die Amalfitano als solche deutete, einen anderen Hintergrund? Die Reklametafel kündigte in großen roten Buchstaben die Ranchera-Sängerin Coral Vidal, eine »Kommunikative Striptease-Aufführung« und den berühmten Magier Alexander an. Unter einem Sonnensegel wurden in einem Gewühl von schlaflosen Menschen Zigaretten, Drogen, Trockenfrüchte, Zeitschriften und Zeitungen aus Santa Teresa, Ciudad de México, Kalifornien und Texas verkauft. Während er eine Zeitung aus der Hauptstadt bezahlte, irgendeine, sagte er zum Kioskbesitzer, den Excélsior , zupfte ihn ein Junge am Ärmel.
    Amalfitano drehte sich um. Vor ihm stand ein dunkelhäutiger Junge, schlank, vielleicht elf Jahre alt, der einen gelben Sweater mit dem Wappen der Universität von Wisconsin und eine kurze Sporthose trug. Kommen Sie, Señor, beharrte das Kind gegen Amalfitanos anfängliches Zögern. Einige Personen waren stehen geblieben und schauten ihnen zu. Der Junge strebte in eine Seitenstraße mit lauter heruntergekommenen Mietshäusern, die aussahen, als wollten sie jeden Moment einstürzen. Die Bürgersteige waren von wahllos geparkten Fahrzeugen blockiert oder von solchen, die ihre Besitzer aufgegeben hatten, zumindest legte ihr desolater Zustand das nahe. Aus einigen Wohnungen drang ein Gemisch ohrenbetäubend lauter Fernseher und zorniger Stimmen. Amalfitano zählte an die drei Leuchtreklamen von Pensionen. Ihre Namen fand er pittoresk, aber weit weniger als den Text auf der Leuchtreklame in der Calle Mina. Was bedeutete Kommunikativer Striptease ? Dass die Zuschauer sich auch auszogen oder dass die Stripperin die Kleidungsstücke laut ankündigte, deren sie sich entledigte?
    Plötzlich versank die Straße in Schweigen, wirkte wie in sich gekauert. Das Kind blieb zwischen zwei besonders kaputten Fahrzeugen stehen und sah

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