Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Noete des wahren Polizisten

Die Noete des wahren Polizisten

Titel: Die Noete des wahren Polizisten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Bolaño
Vom Netzwerk:
Inneren von Brot.

3
     
    Eine Woche nach Ankunft der Amalfitanos in Mexiko begannen Rosa Amalfitano und Jordi Carrera, sich Briefe zu schreiben. Zuerst schrieb Jordi. Nach einer seltsamen Woche, in der er kaum ein Auge zugemacht hatte, beschloss er, etwas zu tun, das er in den siebzehn Jahren seines Lebens noch nie getan hatte. Er kaufte nach langem Zögern die Postkarte, die ihm am passendsten schien, die Reproduktion einer Comiczeichnung von Tamburini und Liberatore (einer der beiden, glaubte er vage zu wissen, war an einer Überdosis gestorben), und nachdem er sie mit einigen, wie er fand, idiotischen Sätzen versehen hatte, ich hoffe, dir geht es gut, wir vermissen dich (warum der verdammte Plural?), warf er sie in den Briefkasten und bemühte sich vergeblich, sie zu vergessen.
    Rosas mit Maschine geschriebene Antwort nahm drei Blätter in Anspruch. Sie sagte in etwa, sie werde gerade im Geschwindschritt erwachsen, und die Empfindung, die das in ihr auslöse, sei anfangs wunderbar und erregend, obwohl man sich dann, wie immer, an alles gewöhne. Sie erzählte auch von Santa Teresa und wie schön manche Gebäude seien, Bauten aus der Kolonialzeit, eine Kirche, ein Markt mit Arkadengängen und das Gedenkhaus des Toreros Celestino Arraya, das sie gleich nach ihrer Ankunft, wie magnetisch angezogen, besucht habe. Besagter Celestino sei nicht bloß hübsch gewesen, sondern auch eine lokale Berühmtheit, verstorben in der Blüte seiner Jahre (hier erging sich Rosa in weder ganz verständlichen noch besonders gelungenen Witzen über die Blüte des Begehrens und die Blüte der Sünde), und auf dem Friedhof von Santa Teresa stehe eine beeindruckende Statue von ihm, aber das gedachte sie sich später anzuschauen. Man könnte sie für eine Bildhauerin oder Architektin halten, dachte Jordi niedergeschlagen, als er den Brief zum zehnten Mal las.
    Seine Antwort ließ zwanzig Tage auf sich warten. Diesmal schickte er eine extra große Postkarte mit einer Zeichnung von Nazario. Weil es unmöglich war, ihr zu sagen, was es ihn eigentlich zu sagen drängte, erzählte er konfus, aber in strikter Anlehnung an die Wahrheit, von seiner letzten Basketballpartie. Fast ein absurdes Gedicht, dachte Rosa, als sie die Karte las. Die Partie war beschrieben wie eine Folge elektrokinetischer und elektromagnetischer Fragmente, verwischte, hin und her flitzende Körper, der Ball mal zu groß, mal zu klein, mal zu hell, mal zu dunkel, und die Rufe des Publikums, die Jordi begeistert (dieses eine Mal) mit denen im Circus Maximus verglich, waren wie ein Metronom in seinem Brustkorb. Ich hoffe, ich übertreibe nicht zu sehr, dachte er. Auf sich bezogen deutete er an, dass er schlecht gespielt habe, lustlos, lauffaul, womit er sagen wollte, dass er ein bisschen traurig war und sie vermisste.
    Diesmal beschränkte sich Rosas Antwort auf zwei Seiten. Sie schrieb über ihren Englischunterricht, über planlose Spaziergänge durch die Viertel von Santa Teresa, über ihre Einsamkeit, die sie als kostbares Gut schätzte und auf Lektüre und Selbsterkenntnis verwandte, über mexikanische Gerichte (hier erwähnte sie beiläufig katalanische Bohnen mit Bratwurst, in einem spitzen Ton, der Jordi abfällig und unfair erschien), von denen sie sich einige schon für ihren Vater zuzubereiten getraute, Hähnchen mit roter Mole, zum Beispiel, ein relativ einfaches Rezept, sagte sie, man brauchte nur ein Hähnchen oder Hähnchenteile zu kochen und die Chilisauce (ein ziegelrotes Pülverchen, das es kochfertig, lose oder in Gläsern, zu kaufen gab) in einer Pfanne mit etwas Öl und später etwas Wasser, am besten mit der Hühnerbrühe, anzusetzen und dazu in einem Topf ein wenig Reis zu kochen, der dem reichlich mit Mole übergossenen Hähnchen als Beilage diente. Es war ein scharfes und herzhaftes Essen (für ihren Vater, nicht für sie, vielleicht zu herzhaft, um als Nachtessen zu taugen), aber es hatte sie vom ersten Moment an gewonnen, und jetzt konnte sie nicht mehr darauf verzichten. Wahrscheinlich bin ich zu einer fanatischen Anhängerin von Hähnchen mit Mole geworden, wobei es traditionellerweise Pute mit Mole sein sollte, hier Guajolote genannt.
    Alles in allem, schrieb sie am Ende des Briefs, sei sie glücklich, und das Leben könne nicht schöner sein. In dieser Hinsicht ähnele ich ein bisschen Candide, und mein Lehrer Pangloss ist diese faszinierende mexikanische Umgebung. Auch mein Vater, obwohl nicht sehr, eigentlich gar nicht, nein, mein Vater hat

Weitere Kostenlose Bücher