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Die Noete des wahren Polizisten

Die Noete des wahren Polizisten

Titel: Die Noete des wahren Polizisten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Bolaño
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Bajonett der Tapferen der Littorio (einer Panzerdivision) befeuern noch immer Geduld und heitere Gelassenheit des Vaterlands. Sodann gedachte er der alten und jungen Generäle, der treuesten und geschicktesten, die die Palmenhaine und Schilfhütten Afrikas (er verwendete das spanische Wort bohíos , zum Unverständnis seiner italienischen Zuhörerschaft, mit Ausnahme eines Professors für lateinamerikanische Literatur, der so erst recht nichts verstand) je gesehen hatten. Er argumentierte dann, der Ruhm des »Tedesco« verdunkle das Andenken Gariboldis, um einen zu nennen, den zu allem Übel auch noch ein hartnäckiger Fehlerteufel verfolgt habe: In allen Geschichtsbüchern außerhalb Italiens, Frankreichs und Deutschlands, wo man sich diese Blöße nicht gab, wurde er in der Regel als Garibaldi geführt, aber die Geschichte, warf Amalfitano ein, schreibe sich täglich neu und würde wie eine demütige, heiligmäßige Flickschusterin die Löcher stopfen. Dann wies er darauf hin, dass Afrika weder hinter dem zähen Widerstand Siziliens noch hinter der stummen Schlacht in den Steppen zurückstehen durfte, die Gariboldi die Bewunderung der Slawen eintrug. An dieser Stelle erkannten einige, die nicht untereinander tuschelten oder wie weggetreten an einer Havanna sogen, dass hier eine Verulkung im Gange war, und es setzte Getrampel und Protest. Aber Amalfitano ließ sich nicht beirren und dozierte unverdrossen weiter über den unvergleichlichen Mut derer, die schließlich auf der Halbinsel kämpften, die Divisionen San Marco, Monte Rosa, Italia, die Granatieri di Sardegna, die Divisionen Cremona, Centauro, Psubio, Piacenza, Mantua Sassari, Rovigio Lupi di Toscana, Nembo. Das verratene und verkaufte Heer, das man dennoch gelegentlich für ein Wunder oder eine Verkündigung gehalten hätte, lässt die aufgeblasenen Schnösel von Chicago oder der Londoner City alt aussehen.
    Der Schluss war kurz und bündig. Das Blut, fragte sich Amalfitano, zu welchem Zweck? Was kann es rechtfertigen oder erlösen? Und antwortete sich: dass der italienische Koloss endlich erwacht. Der Koloss, den seit Napoleon alle einzuschläfern versuchen. Die italienische Nation, die ihr scharfsinnigstes Wort noch nicht gesprochen hat. Ihr letztes und leuchtendstes Wort, in Europa und in der Welt. (Ohrfeigen, Stöße, Beschimpfungen als unerwünschter Ausländer, Beifall von zwei vage anarchistischen Professoren.)

27
     
    Während er in der Dämmerung auf der Veranda seines mexikanischen Hauses saß, dachte Amalfitano, wie seltsam es doch war, Arcimboldi nicht in Paris gelesen zu haben, wo seine Bücher viel leichter verfügbar waren. Man hätte meinen können, der Name sei plötzlich aus seinem Kopf verschwunden, als doch nichts näherlag, als sich alle seine Romane zu besorgen und zu lesen. Die grenzenlose Rose hatte er in einem Moment übersetzt, als sich, abgesehen von ein paar Lesern und argentinischen Verlagen, außerhalb Frankreichs niemand für Arcimboldi interessierte. Und er hatte ihm gut gefallen, inspirierend. Jene Zeit, erinnerte er sich, die Monate vor der Geburt seiner Tochter, könnte die glücklichste seines Lebens gewesen sein. Edith Lieberman war zu einer so schönen Frau geworden, dass sie manchmal mit einem dichten Licht zu leuchten schien: im Bett, auf der Seite liegend, nackt und sanft, die Beine ein wenig angezogen, auf den geschlossenen Lippen ein Ausdruck von entwaffnender Selbstsicherheit, als würde sie sich in einer Sekunde durch sämtliche Albträume träumen. Immer unversehrt. Lange schaute er sie so an. Das Exil schien seinerseits ein endloses Abenteuer. Der Kopf schwirrte ihm vor Projekten. Buenos Aires war eine Stadt am Rand des Abgrunds, aber alle wirkten fröhlich, alle hatten Spaß am Leben und Reden und Pläneschmieden. Die grenzenlose Rose und Arcimboldi waren, das hatte er damals gewusst, aber später vergessen, ein Geschenk. Ein Geschenk, bevor es zusammen mit Frau und Tochter in den Tunnel ging. Was hatte geschehen können, damit er nicht weiter nach diesen Worten suchte? Was hatte ihn so maßlos einschläfern können? Zweifellos das Leben, das uns die notwendigen Bücher nur in die Hände spielt, wenn sie unbedingt notwendig sind, oder wenn ihm ganz einfach danach war. Jetzt würde er die anderen Romane von Arcimboldi zur Unzeit lesen.

III    Rosa Amalfitano
     

1
     
    Während der ersten Woche logierten sie in einem Außenbezirk von Santa Teresa, im Motel Sinaloa an der nördlichen Autobahn. Jeden Morgen

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