Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Noete des wahren Polizisten

Die Noete des wahren Polizisten

Titel: Die Noete des wahren Polizisten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Bolaño
Vom Netzwerk:
fuhr Amalfitano im Taxi zur Universität. Ein oder zwei Stunden später tat Rosa das gleiche und brachte den übrigen Tag damit zu, kreuz und quer durch Santa Teresa zu laufen. Mittags trafen sie sich in einem Restaurant der Uni oder im El Rey y La Reina, einem von Rosa entdeckten Lokal mit ausschließlich mexikanischer Küche.
    Die Nachmittage verwandten sie auf die Suche nach einer Bleibe. Sie nahmen ein Taxi und besichtigten Häuser und Wohnungen im Zentrum oder in Vierteln, gegen die Rosa dann immer irgendwelche Einwände hatte, entweder waren sie ihr unheimlich oder zu teuer, oder sie gefielen ihr nicht. Während sie im Taxi von einem Ende der Stadt zum anderen fuhren, nutzte Amalfitano die Zeit zum Lesen, und Rosa schaute ununterbrochen aus dem Fenster. Auf ihre Weise schienen Vater und Tochter in einer anderen Welt zu leben, in einer verzauberten, provisorischen und glücklichen Welt.
    Bis sie schließlich in der Colonia Mancera, einem Mittelschichtsviertel im Süden der Stadt, ein Häuschen fanden, mit zwei Schlafzimmern, einem geräumigen und hellen Wohn-Ess-Zimmer, einem Bad mit Badewanne und einer amerikanischen Küche.
    Vor dem Haus gab es einen kleinen Hof, der früher ein Garten gewesen war und jetzt nur noch aus Gestrüpp und Erdlöchern bestand, als würden dort Maulwürfe leben. Vor dem Eingang gab es eine Veranda mit gefliestem Boden und Holzgeländer, auf der man von Schaukelstühlen und geruhsamen Abenden träumen konnte. Hinter dem Haus befand sich ein zweiter, kleinerer Hof von rund zwanzig Quadratmetern mit einem Geräteschuppen, der bis unters Dach mit nutzlosem Gerümpel vollgestellt war. Das ist das ideale Haus, Papa, hatte Rosa gesagt, und dort waren sie geblieben.
    Das größere Zimmer bezog Amalfitano. Bett, Nachttisch und Wandschrank ergänzte Rosa um einen Schreibtisch, brachte einen Stuhl aus dem Esszimmer herüber und bestellte in einer Schreinerei zwei große Regale für die per Schiffsladung aus Barcelona verschickten Bücher, die noch lange auf sich warten ließen. In das Zimmer, das Rosa sich zugedacht hatte, stellte sie ein kleineres Regal, und nachdem sie es rasch mit den alten Habseligkeiten aus nomadischen Kindertagen bestückt hatte, strich sie noch einmal die Wände und nahm sich dazu alle Zeit der Welt: zwei in einem Tabakton und zwei in einem sehr hellen Grün.
    Als sie das gleiche mit Amalfitanos Wänden machen wollte, lehnte dieser ab. Ihm gefielen die weißen Wände, und ihn quälte die Vorstellung, seine Tochter den ganzen Tag über in altem Hemd und alter Hose die Arbeit verrichten zu sehen, von der er fand, dass er sie hätte erledigen müssen.
    Nie zuvor hatten sie in einem Haus mit amerikanischer Küche gewohnt, und begeistert von der Neuerung, kochten sie an den ersten Abenden zusammen, plauderten und wechselten ununterbrochen zwischen Wohnzimmer und Küche hin und her, wischten den Tresen sauber, sahen sich abwechselnd beim Kochen zu, und während der eine auf dem Barhocker thronte und aß, bediente der andere, als befänden sie sich in einer Bar und wären mal Kellner oder Kellnerin, mal Kunde oder Kundin.

2
     
    Als sich ihr Leben wieder normalisierte, hatte Rosa Zeit, sich in die Straßen von Santa Teresa zu verlieben, frische Straßen, Straßen, die insgeheim ein transparentes, indiofarbenes Land verhießen, und nahm nie wieder ein Taxi.
    Gewöhnt an die bunten, deutlich abgegrenzten oder, im Fall der Altstadt, herausgeputzten Straßen von Barcelona, Straßen einer Zivilisation, also wirkliche Straßen, erschienen ihr dagegen die Straßen von Santa Teresa wie neugeboren, Straßen mit einer geheimen Logik und Ästhetik, Straßen mit offenem Haar, in denen sie gehen und sich lebendig und unterwegs fühlen konnte, eins mit sich und nicht Teil von.
    Außerdem, stellte sie überrascht fest, waren es nach auswärts zielende Straßen, städtisch und zugleich zum Land hin offen, einem Land großer, geheimnisvoller Räume, das sich in den ersten Stunden der Dämmerung bis in die von rachitischen oder mächtigen Bäumen beschatteten Straßen verlängerte, in einer Verschränkung, die sie sich nicht erklären konnte, als wäre Santa Teresa noch mit dem bescheidensten Höhenzug seiner Umgebung verzahnt, dargeboten in unmöglicher Perspektive. Als wären die Straßen sämtlich Teleskoprohre, gerichtet auf die Wüste, auf die bestellten Felder, die Weiden und Viehzäune oder auf die kahlen Hügel, die in den Mondnächten aussahen, als bestünden sie aus dem weichen

Weitere Kostenlose Bücher