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Die Noete des wahren Polizisten

Die Noete des wahren Polizisten

Titel: Die Noete des wahren Polizisten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Bolaño
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hausgemachter Joghurt. Rosa glaubte, ihre Mutter würde sich in seinen labyrinthischen, von über sechs Meter hohen, verwahrlosten Urnenwänden flankierten Straßen verlaufen, aber die Mutter schien den Ort besser zu kennen als sie und gelangte ohne Schwierigkeiten an ein Plätzchen, wo sich die Wasserhähne und die Statue des Toreros Celestino Arraya befanden.
    Man hat mich aus meinem Grab geworfen, teilte die Tote lakonisch mit, und Rosa verstand. Ökonomischer und auch bürokratischer Umstände wegen hatte Amalfitano den Körper seiner Frau nicht einäschern können und sich damit begnügen müssen, eine Grabnische auf einem Arme-Leute-Friedhof von Rio de Janeiro zu pachten. Bevor der erste Pachtzins fällig wurde, verließen Amalfitano und seine Tochter Brasilien, die Polizei, Gläubiger sowie Kollegen im Nacken, die ihn diverser Heterodoxien bezichtigten. Was war aus Edith Liebermans Resten geworden? Vater und Tochter wussten es und nahmen es resigniert hin. Das Schicksal der Nichtzahler war das Massengrab. Manchmal träumte Rosa von einem sagenhaften Brasilien, in dem es nur zwei, in sich geschlossene Landschaften gab: den Urwald und das Massengrab. Der Urwald war von kopulierenden Menschen und Tieren übervölkert. Das Massengrab war wie ein leeres Opernhaus. Beide mündeten über einen langen Tunnel ins Beinhaus. Gewöhnlich wachte sie weinend auf, obwohl es sie nicht beunruhigte zu wissen, dass die Reste ihrer Mutter mit den Knochen unzähliger anonymer Brasilianer vermischt in der Erde ruhten. Wie ihr Vater war Rosa atheistisch, und als Atheistin glaubte sie, dass sie der unerheblichen Tatsache, da oder dort begraben zu sein, keine Bedeutung beimessen sollte.
    »Man hat mich aus meinem Grab geworfen wie eine Rentnerin bei der Zwangsräumung«, flüsterte die Mutter im Traum.
    »Macht nichts, Mama, so wirst du freier sein.«
    »Ich habe nichts Eigenes mehr. Ich lebe in Unflat und Promiskuität. Ich hatte gebeten, man solle mich verbrennen und meine Asche in die Donau werfen, aber dein Vater ist ein Fähnchen im Wind, auf den niemals Verlass ist.«
    »Davon habe ich nichts gewusst.«
    »Ist egal, liebes Kind, jetzt wird mein Geist endlich die konzentrische Glückseligkeit erreichen.«
    »Die konzentrische Glückseligkeit?«
    »Richtig, die klassische Großzügigkeit.«
    »Und was bedeutet das, Mama?«
    »Das bedeutet, dass ich mich im Eiltempo in einen Schutzgeist verwandele. Und es bedeutet, dass ich noch eine Weile bei dieser schrecklichen Statue bleiben und dich in den kommenden gefährlichen Tagen beschützen werde.«
    Dann wendete sich ihre Mutter von ihr ab und begann französisch zu reden. Sie schien die Statue anzusprechen.
    Als sie aufwachte, klangen in ihrem Kopf noch die Fragmente eines Gedichts nach. Die Verse, die ihre Mutter rezitierte, als sie klein war:
     
    Des soleils noirs
    Les soleils noirs
    Millions de soleils noirs
    Girent dans le ciel
    Dévorent le ciel
    S’abattent sur les pavés
    Eventrent les églises du Bon Dieu
    Eventrent les hôpitaux
    Eventrent les gares…
     
    Verse von Gilberte Dallas!, erinnerte sie sich wehmütig.
    Kurz darauf hörte sie auf, Bücher zu lesen, und wurde videosüchtig.

11
     
    Rosas Erziehung, das darf man ruhig sagen, war zweckmäßig und vernünftig, streckenweise fortschrittlich und gelegentlich erhaben. Die ständigen Wechsel von Schule und Land trugen das Ihre dazu bei. Dennoch war sie eine fleißige Schülerin. Mit zehn sprach sie nahezu fließend Spanisch, Portugiesisch und Französisch. Mit zwölf außerdem Englisch, allerdings nicht ganz so mühelos. Von ihren Lehrern konnte man zumindest sagen, dass sie rührend waren. Zwei Drittel von ihnen hatten irgendwann im Leben mehr oder weniger erfolgreich versucht, kritische Essays, Monographien oder Zeitungsartikel zu Makarenko, A.S. Neill, Freinet, Gramsci, Fromm, Ferrer i Guàrdia, Paulo Freire, Peter Taylor, Pestalozzi, Piaget, Suchodolski und Johann Friedrich Herbart zu schreiben. Einer, ein schüchterner Nicaraguaner, Lehrer an der einzigen reformpädagogischen Schule, die es in Managua gab, hatte ein Buch mit dem Titel Die Blendwerke der Erziehung (México, Ed. Pedagogía Libre, 1985) über Hildegart Rodríguez und ihre fürchterliche Mutter Aurora geschrieben, das zu seiner Zeit einiges Aufsehen erregt hatte: Es empfahl das Leben in der freien Natur abseits von Klassenzimmern und Bibliotheken als die ideale Schule für Kinder und Jugendliche; eine der nötigen Vorbedingungen war allerdings die

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