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Die Noete des wahren Polizisten

Die Noete des wahren Polizisten

Titel: Die Noete des wahren Polizisten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Bolaño
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Mariño mehr als vier Seiten auf die Verfolgung, die kurz nach dem Ende der Schlacht unternommen wurde und an der er nicht teilnimmt. Wer wird verfolgt? Die Truppen, die Santa Teresa nicht betreten hatten, und die wenigen Soldaten, die sich der Einkesselung entziehen konnten. Ein gewisser Emilio Hernández führt die Verfolger an. Zunächst macht man Jagd auf die aus Santa Teresa Geflohenen, die sich tapfer zur Wehr setzen. Dann auf die Männer der Nachhut mit den Gerätschaften, die sich kampflos ergeben. Als Emilio Hernández von der Präsenz »französischer« Truppen in Villaviciosa erfährt, schickt er die Gefangenen mit den erbeuteten Gerätschaften in die Stadt und bricht mit nur dreißig Reitern zur Befreiung von Villaviciosa auf. Im Morgengrauen des folgenden Tages trifft er dort ein. Die Bauern haben die Ortschaft verlassen und sich ins Umland zerstreut. Andere schlafen in ihren niedrigen, dunklen Häusern und stehen erst nach Mittag auf. Auf Befragen teilen die Bauern mit, die Soldaten seien abgezogen. Wohin, in welcher Richtung?, will Emilio Hernández wissen. Nach Hause, sagen die Bauern. Verwegen zwar, Gutsbesitzer und Gutsherren die eine Hälfte, Viehhirten und Angestellte die andere, bekommen es die Männer von Emilio Hernández mit der Angst, fühlen sich beobachtet und an der Schwelle zu etwas, wovon sie lieber nichts wissen wollen (was, lässt José Mariño offen, exzellenter Erzähler von Bettgeschichten und Opernfinalen, Amateurübersetzer von Poe-Erzählungen). Aber Emilio Hernández gibt sich nicht geschlagen und lässt einen Teil seiner Leute nach Spuren suchen, die die Soldaten auf ihrer Flucht hinterlassen haben, während er selbst mit den übrigen das Dorf durchkämmt. Die ersteren finden ein mit Machetenhieben getötetes Pferd. Letztere nur schlafende Leute, Kinder mit aufgerissenen Augen und Wäsche waschende Frauen. Im Laufe des Nachmittags breitet sich im ganzen Ort ein Fäulnisgeruch aus. Als es Nacht wird, beschließt Emilio Hernández, nach Santa Teresa zurückzukehren, die Belgier von Villaviciosa haben sich in Luft aufgelöst. Mariño schließt: »Das Dorf schien tausend, zweitausend Jahre alt, und die Häuser wirkten wie aus der Erde emporgewachsene Geschwüre, ein verlorenes Dorf und doch gekrönt von der unverwüstlichen Aureole des Geheimnisvollen …«

8
     
    Es gibt etwas in Mariños Erzählung, ließe sich als extravaganter Schlenker anfügen, das eklatant ins Auge springt.
    Er beschreibt das Gespräch, das schwierige Gespräch, zwischen Emilio Hernández und den Honoratioren des Dorfes. Ungeduldig und unruhig, wie er ist, steigt Hernández nicht ab. Sein Pferd tänzelt vor dem Hauseingang, in dem sich die Alten von Villaviciosa vor der Sonne schützen. Sie sprechen in einem gedehnten, gelangweilten Ton. Ihre Worte beziehen sich auf das Wetter, die Jahreszeiten, die Ernte. Die Gesichter sind wie aus Stein. Hernández dagegen schreit und stößt zweideutige Drohungen aus, die nicht einmal er selbst versteht. Mariño mutmaßt, dass Hernández Angst hat. Sein Gesicht ist vom langen Ritt schweiß- und staubbedeckt. Den Revolver lässt er im Halfter, aber mehrmals tut er so, als würde er ihn gleich ziehen. Die Alten nerven ihn. Er ist müde, außerdem jung und ungestüm. Dennoch rät ihm ein Rest von Vorsicht, die Situation besser nicht eskalieren zu lassen. Unter den ausdruckslosen Blicken der völlig tatenlos dastehenden Bewohner durchsuchen seine Männer das Dorf nach etwas Unbestimmtem. Hernández wirft ihnen ihre Einstellung vor. Wir sind gekommen, um zu helfen, schimpft er, und das ist der Lohn. Die Alten erinnern an Maden. Mariño lässt daraufhin Hernández die schlichte und entscheidende Frage stellen: Was wollt ihr denn? Und die Alten antworten: Wir wollen uns überwinden . Das ist alles. Die Honoratioren von Villaviciosa haben gesprochen, und ihre Worte gehen in die Geschichte ein: Sie wollen sich überwinden.

9
     
    Von ihrer Mutter war ihr die Liebe zu den französischen Dichtern eingeimpft worden. Sie erinnerte sich, wie sie in einem dunkelgrünen Sessel saß, ein Buch in den Händen (langen, schlanken, sehr weißen, fast durchscheinenden Händen), und laut vorlas. Sie erinnerte sich an ein Fenster und an die Umrisse dreier moderner Gebäude, deren Architekten ihre Eltern dem Namen nach kannten und hinter denen der Strand und das Meer lagen. Die drei Architekten hassten sich wie die Pest, und ihre Eltern machten Witze darüber. Wenn die Sonne unterging, setzte

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