Die Nomadengott-Saga 01 - Der Nomadengott
Raffim wurde klar, dass er nur heilen, nicht aber töten und zerstören konnte. Er war maßlos enttäuscht. Worauf sollte er seine neue Macht gründen, wenn er nicht in der Lage war, ein Zeichen zu setzen? Wer würde vor ihm im Staub kriechen, wenn er nur ein paar alte Diener von Zipperlein und Bluthusten befreien konnte? Gedankenverloren streifte er mit dem Ankh eine Zimmerpflanze, die sofort zu blühen begann. Er seufzte. Mit diesen Taschenspielertricks konnte man kein Imperium aufbauen. Damit konnte man nicht einmal die Trümmer von Theben beherrschen.
Dabei berichteten die Priester stets von der erhabenen Schrecklichkeit des Krokodilgottes. Von seinem ungeheuren Appetit auf Demut, Opfer und Menschenfleisch. Und er, Raffim, war doch nun ein Teil von Suchos. Wieso verspürte er keine Lust, seine Diener zu fressen? Er verspürte nicht einmal Appetit auf ein Krokodilhackbällchen. Ganz im Gegenteil durchströmte ihn ständig das Gefühl wohliger Sattheit.
Er begann zu verzweifeln.
Während sich drinnen Raffim mehr und mehr in sei ne Verzweiflung steigerte, war draußen Bewegung in die Menschenmasse gekommen. Das lag am fast gleichzeitigen Eintreffen der Palastwache, der Stadtwache und der Tempelwache. Bereitwillig machten die Schaulustigen Platz. Da die drei Wachen aber aus drei verschiedenen Richtungen zu Raffims Anwesen kamen, mussten sich die Neugierigen an verschiedenen Stellen teilen, um die Wachen durchzulassen, und prallten mehrfach aufeinander. Es war das alte Problem, dass dort, wo schon ein Körper ist, kein zweiter sein kann. Zwar kam es zu einigen Verdrängungswettbewerben, aber letztendlich hielt man sich angesichts der Wachen zurück. Man wusste ja, wie schnell man im Steinbruch, auf den Feldern, in des Statthalters Schlafzimmer oder auf dem Altar landen konnte.
Menpehti sah seine schlimmsten Befürchtungen bestätigt. Und so traf er vor dem Tor zu Raffims Haus auf seine schlimmsten Feinde, den Kommandanten der Stadtwache Menpuhti, der zu allem Übel auch noch sein verhasster Bruder war, und auf K’nofer, den Kommandanten der Tempelwache.
»Er hat die Stadt zerstört, er gehört uns!«, rief Menpuhti siegesgewiss.
»Er hat Suchos beleidigt und sein Ankh gestohlen. Dies ist eindeutig eine religiöse Angelegenheit«, widersprach K’nofer entschieden.
»Ich habe den Befehl von Kamoses, ihn zu holen«, sagte kleinlaut Menpehti.
Die anderen beiden lachten schallend.
»Mein Herr Bruder geruht wieder besonders witzig zu sein«, tönte Menpuhti hämisch.
»Was will der Statthalter, wenn es um Götter geht?«, fragte arrogant K’nofer.
»Weil der Statthalter auf Befehl des Pharaos für die Hyksos zuständig ist. Und Raffim ist ein Hyksos«, antwortete Menpehti, selbst verwundert ob seines Arguments.
»Nichts da. Er hat die Stadt zerstört, er gehört mir!«, widersprach Menpuhti seinem kleinen Bruder.
»Religion ist Religion, und Raffim ist unser!«, rief der Templer.
»Wollt ihr euch dem Willen des Pharaos widersetzen? Wollt ihr persönlich vor ihn hintreten und sagen, deine Anordnungen sind uns völlig egal, du Wicht von Ober- und Unterägypten? Wollt ihr Winzlinge euch über ihn stellen?«, tönte es aus Menpehti, und er wusste nicht, wer aus ihm sprach.
Die anderen beiden waren verunsichert. Menpehti war der Schwächste unter den Kommandanten, er befehligte die kleinste Truppe und verfügte über fast keine Macht. So hatten sie ihn noch nie erlebt.
»Zieht mit euren Leuten ab! Das hier ist meine Sache«, befahl der Kommandant der Palastwache mit sicherer Stimme und betrat, ohne sich weiter darum zu kümmern, ob man seinen Befehl befolgte, das Haus Raffims.
Seine Leute folgten ihm mit verwunderten Gesichtern.
»Tritt näher, Menpehti!«, sagte Suchosmoses-Raffim huldvoll, und es klang wie das Locken einer Schlange. Oder eines Krokodils, was wohl der Wahrheit näher kam.
»Du willst mich also abholen, richtig?«, fragte der Grünschimmernde lauernd.
»Kamoses befiehlt dir, mir in den Palast zu folgen!«, kam es schwach von Menpehti.
»So, so, Kamoses befiehlt mir, dir zu folgen. Glaubst du wirklich, ich folge dir? Was denkst du, wer dir die anderen Kommandanten vom Hals geschafft hat, du Schwächling? Sieh mich an!«, forderte ihn der Strahlende auf. »Glaubst du, Kamoses oder du Wurm könnt mir etwas befehlen?
Sieh, ich bin göttlich, ich bin grünlich, ich bin leuchtend. Welcher Mensch sollte mir Befehle erteilen?«
Es waren Feststellungen, die keiner Antwort
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