Die Nomadengott-Saga 01 - Der Nomadengott
mächtig und könnte herrschen. Zumindest über Theben, beziehungsweise das, was davon übrig ist«, erwiderte Suchosmoses, der nun zu zweifeln begann, ob er wirklich Suchosmoses sei. Die Sache behagte ihm nicht, ganz und gar nicht.
Unachtsam streifte er eine Liege, die kurz darauf eine lila Blütenpracht entfaltete.
»Was habe ich davon, ein Heiler zu sein?« Seine Stimme klang enttäuscht.
»Das Heilgewerbe ist auch nicht schlecht«, antwortete Seshmosis. »Wie ich dich kenne, wirst du es gewinnbringend aufziehen.«
»Ich hatte mir mehr vorgestellt. Mehr Macht, mehr Sozialprestige. Meiner Meinung nach ist das Dasein eines Halbgottes einträglicher als das eines Heilers. Denke nur an die ganzen Opfergaben. Kein Tempel in Theben bietet Derartiges, wie ich es bieten kann. Ach was, kein Tempel in ganz Oberägypten besitzt ein richtiges Ankh. Vor allem nicht mit einem Menschen daran«, entgegnete hoffnungsvoll Raffim.
»Aber was kannst du denn, außer Heilen? Gibt es da etwas, was du mir bisher verschwiegen hast? Kannst du vielleicht Blitze senden? Leute tot umfallen lassen? Brände entfachen? Krokodile tanzen lassen? Oder beißen?«, fragte der Schreiber misstrauisch.
»Ich kann unter Wasser atmen«, kam die kleinlaute Antwort.
»Damit lässt sich nicht viel Macht ausüben. Was wollte eigentlich die Palastwache von dir?«
»Sie wollten mich verhaften und zu Kamoses bringen. Aber ich konnte sie abwehren.« Der Pseudo-Halbgott hielt inne. »Ich kann noch etwas. Ich kann durch andere Menschen sprechen!«, fuhr er überrascht fort.
»Das ist gut, sehr gut. Das kann für unseren Plan sehr hilfreich sein. Du erinnerst dich doch, was wir besprochen haben?«, fragte Seshmosis mit leichtem Zweifel in der Stimme.
Ein Tumult entstand, als gleichzeitig Kamoses mit seiner Palastwache und die Diener Raffims mit einer Bahre den Raum betreten wollten.
Die Tür war zwar breit, da repräsentativ, aber nicht breit genug, um gleichzeitig mehrere Menschengruppen hindurchzulassen. Ein Zwängen und Schieben und dann ein dumpfer Schlag. Die Leiche Arams war von der Bahre gefallen und Menpehti darüber gestolpert, wobei er den vor ihm gehenden Kamoses mit sich riss. Der Rest der Palastwache fiel über alle, und alle zusammen bildeten ein verwirrendes, vielarmiges, vielbeiniges Knäuel.
Raffim und Seshmosis starrten mit weit aufgerissenen Augen zur Tür.
Nach und nach entwirrten sich die Leiber und sortierten sich im Raum. Lediglich die sterblichen Überreste des dahingeschiedenen Aram lagen noch in der Tür.
Die Dienerschaft verdrückte sich an die Wände des Raums und versuchte mit diesen zu verschmelzen, um ja nicht von der Wache gesehen zu werden.
Kamoses war ganz Statthalter und baute sich in der Mitte des Raums auf. Energisch blickte er um sich, nahm alles genau wahr, selbst die fast unsichtbaren Diener, und deutete dann auf die Leiche: »Schafft ihn weg! Ich hasse Leichen, die ohne meine Einwirkung entstanden sind.«
Keiner reagierte. Zunächst. Dann tippte Seshmosis Raffim auf die Schulter und flüsterte: »Berühre ihn! Berühre Aram mit dem Ankh!«
Seltsamerweise fühlte er sich durch dieses Schultertippen erfrischt und gesättigt, obwohl er den ganzen Tag noch nichts gegessen hatte.
Raffim, der Heiler, ging zur Leiche des ertrunkenen Hyksos. Lange Zeit sah er auf ihn hinab, während alle im Raum den Atem anhielten. Dann bewegte er langsam den linken Arm und berührte den verblichenen Bademeister mit dem Ankh.
Es geschah – nichts. Raffim war verblüfft. Er berührte die Leiche erneut. Und jetzt begann sie zu zucken. Zuerst ganz leicht, dann mehr und mehr. Er berührte Aram ein drittes Mal. Dann ertönte ein Schrei. Ein Schrei wie aus einer anderen Welt. Es war der Schrei einer Seele, die sich schon anderswo niedergelassen hatte und gewaltsam von dort zurückgerissen wurde in diese Welt.
Aram schlug die Augen auf und blickte in das grüne Gesicht von Raffim.
»Du? Warum hast du mir dies angetan, Raffim, warum?«, fragte Aram mit hohler Stimme.
»Preise dich glücklich, mein Freund, ich habe dich in das Reich der Lebenden zurückgeholt«, sagte Raffim, freudestrahlend ob seines Erfolgs.
»Glücklich preisen? Ich mich, jetzt, wo du mich dem Reich des Ka entrissen hast? Dort war ich glücklich. Ich wollte dort sein, ich bin freiwillig hingegangen«, entgegnete der Zurückgeholte traurig.
»Freiwillig? Du bist freiwillig ertrunken?«, fragte Seshmosis, der hinzugetreten war.
»Ja, ich wollte mein Bad nicht
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