Die Nomadengott-Saga 01 - Der Nomadengott
verlassen. Ich hasse die Wüste, ich hasse jeden Ort, der kein Wasser hat. Könntet ihr mich bitte wieder zurückschicken?«, bat Aram.
»Sei still!«, flüsterte der Schreiber. »Wir müssen erst einiges klären. Die Situation hat sich in deiner Abwesenheit grundlegend geändert.«
»Was tuschelt ihr da?«, fragte misstrauisch der Statthalter. »Hört mir gefälligst zu! Ich will endlich wissen, was passiert ist und was hier vor sich geht. Raffim, was soll der Unsinn? Wie kommst du dazu, meine Stadt zu zerstören?«
»Ich habe gar nichts zerstört«, sagte Raffim beleidigt. Fast hätte er hinzugefügt: weil ich nichts zerstören kann. Aber ihm fiel gerade noch ein, dass es taktisch nicht gerade klug wäre, seinem erklärten Feind seine Schwächen einzugestehen.
»Wer oder was ist für die Zerstörung meiner Stadt verantwortlich?«, fauchte Kamoses.
»Suchos selbst ist dafür verantwortlich. Er fuhr in eines meiner Krokodile und verlor dabei sein Ankh. Dieses Ankh!«, rief Raffim und hielt das Ankh hoch. »Und nun habe ich es. Ich habe das Ankh. Ich bin mächtig und kann Tote zum Leben erwecken. Ich verlange, dass du uns Hyksos von nun an in Ruhe lässt, sonst bekommst du meinen Zorn zu spüren. Und außerdem heißen die Hyksos von Theben nicht mehr Hyksos, sondern Tajarim. Ein für alle Mal!«
Kamoses wollte heftig widersprechen. Er öffnete den Mund zu einer geharnischten Rede und sprach: »So sei es! Ziehet hin in Frieden.«
Der Statthalter staunte ob seiner Worte, die er so nie und nimmer in seinem Gehirn formuliert hatte. Er wollte im Gegenteil den Hyksos androhen, sie mit Stumpf und Stiel auszurotten, falls sie ihm nicht ihr gesamtes Vermögen ablieferten und unverzüglich damit begannen, das zerstörte Theben wieder aufzubauen.
Kamoses wollte sich korrigieren und öffnete erneut den Mund: »Wir wollen die Tajarim respektieren, solange sie in unserem Land weilen. Wir werden uns nicht in eure inneren Angelegenheiten einmischen und euch in keiner Weise behelligen.«
Der Statthalter drohte innerlich zu platzen. Hier ging es nicht mit rechten Dingen zu, und er wusste, dass Raffim der Schuldige war. Aber er konnte nichts dagegen tun. Egal, was er sagen wollte, hören würden die Leute immer nur, was Raffim sie hören ließ. Er gab auf, drehte sich zur Tür, gab seinen Leuten ein Zeichen, ihm zu folgen, und verschwand.
Seshmosis nickte Raffim grinsend zu.
Der Käfer Chepre hatte gerade die abgenutzte Sonne über den westlichen Horizont gerollt und sie dem m’m-Tier übergeben. Die Spitzmaus band sich sofort die Schürze um und begann auf ihrem dreieckigen Tisch mit ihrer Arbeit.
Die Götter, die mit den Dingen der Nacht befasst waren, gingen ihren Geschäften nach. Doch fast alle anderen versammelten sich auf der Höhe von Biban el-Moluk, jenem Ort, den man ab Ahmoses Sohn und Nachfolger Amenophis’ I. das Tal der Könige nennen würde. Noch gab es hier weder Gräber noch Könige, nur Götter, dafür aber sehr viele. Zumindest in dieser Nacht.
Es herrschte große Unruhe unter den Vielgestaltigen, und einige mindere Gottheiten sahen ihre Stunde gekommen, den Großen endlich einmal vor den göttlichen Karren zu fahren.
Das Hapi zum Beispiel, jene androgyne Gottheit, die den Nil schlechthin verkörperte und in dessen Domäne sich das Ereignis zugetragen hatte, zankte sich mit Chnum, weil der Gott des blutroten Sonnenuntergangs seit vierhundert Jahren die jährliche Überschwemmung seiner Meinung nach stets zu spät einleitete.
Mut, die Gattin Amuns, die man leicht am Geier auf dem Haupte erkennen konnte, musste sich der Angriffe der kuhgestaltigen Methyer erwehren, die behauptete, Mut sei daran schuld, dass der Stier Apis seine Aufmerksamkeit nicht mehr ihr, sondern der gehörnten Hathor schenkte.
Toth, der es vorgezogen hatte, dieses Mal nur in seiner ibisköpfigen Ausgabe zu erscheinen, versuchte gerade dem mumiengestaltigen Ptah klar zu machen, warum es notwendig war, den Menschen die Schrift zu schenken, und dass sie erst durch diese seine Gabe überhaupt in der Lage waren, sie, die Götter, richtig zu verehren.
Soweit das Auge reichte – sofern es ein göttliches Auge war, denn den Blicken der Menschen war es nicht möglich, dieses Ereignis wahrzunehmen –, sah man sich streitende Gestalten, die mit Zeptern fuchtelten und aus deren Mündern, Mäulern, Schnäbeln und Schnauzen Beschimpfungen sprudelten wie die Wasser aus den Quellen des Nil.
Es war eine Götterdämmerung der besonderen
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