Die Nomadengott-Saga 01 - Der Nomadengott
bedurften.
»So, und jetzt befehle ich dir: Bringe mir Kamoses hierher, aber schnell!«
So zog auch die dritte Wache unverrichteter Dinge vom Anwesen des ehemaligen Devotionalienhändlers ab. Gerade in dem Moment, als Seshmosis das Gelände betrat.
Es war typisch für Seshmosis. Einerseits wusste er ungeheuer viel, andererseits hatte er keine Ahnung. So wie jetzt. Er wunderte sich über den Menschenauflauf vor Raffims Haus, den er sich überhaupt nicht erklären konnte. Von Raffims Aufstieg zum Halbgott hatte er noch nicht gehört.
Staunend blickte der Schreiber auf die Menge und die gerade abziehende Palastwache. Unwillkürlich senkte er den Kopf, die Strategie aller, wenn sie einer Wache begegneten. Mühsam bahnte er sich den Weg zum Tor und betrat das Haus.
Die Dienerschaft kannte ihn und führte ihn direkt in den früheren Repräsentationsraum, jetzt Tempel genannt.
Der alte Freund litt. Er litt unter seinen neuen Fähigkeiten ebenso wie unter Frustrationen. Alles war ganz anders, als er es sich vorgestellt hatte. Er wusste einfach nicht, wie er seine neu gewonnenen Fähigkeiten in Macht oder gar Reichtum umsetzen konnte. Das deprimierte ihn fast noch mehr als der fehlende Appetit.
Seshmosis, der Ahnungslose, betrat den Raum, den er so gut kannte, und wunderte sich lediglich kurz darüber, dass er völlig unzerstört war. Dann begann er auf Raffim einzureden.
»Es ist schrecklich, Raffim, es ist alles so schrecklich. Aram ist tot. Ich verstehe es nicht, es wurde niemand verletzt, es wurde niemand getötet, selbst in den zerstörtesten Häusern und Hütten nicht. Aber Aram ist tot, er ist im Badehaus ertrunken. Verstehst du? Ertrunken! Nicht von umstürzenden Statuen erschlagen, nicht von herabfallenden Steinen. Er ist einfach ertrunken.«
Seshmosis seufzte tief und traurig und blickte auf Raffim. »Du siehst so grün aus, ist dir nicht gut?«
Der neue Halbgott von Theben verlor fast die Beherrschung. »Ob mir nicht gut ist? Hast du denn noch nichts gehört?«
»Wovon soll ich gehört haben? Dass halb Theben in Schutt und Staub liegt? Das ist ja wohl nicht zu übersehen. Du bist wirklich s ehr grün. Und mir kommt es vor, als wäre da auch ein Leuchten. Hast du neue Lampen?«
»Neue Lampen? Ja, siehst du denn nicht, dass ich es selbst bin, der leuchtet? Sieh her, sieh auf meine linke Hand. Schau genau hin, es ist ein Ankh. Ein echtes Ankh. Nicht der billige Tand aus den Tempelläden, es ist ein göttliches Ankh. Es ist das Ankh von Suchos, dem großen Krokodilgott. Und es ist in meiner Hand. Deshalb bin ich auch nicht mehr länger Raffim, sondern Suchosmoses, der Sohn des Suchos! Ich bin sein Hoher Priester und ein Halbgott.«
Ex-Raffim Neu-Suchosmoses sagte diese Sätze wie in Stein gemeißelt.
Seshmosis starrte. Er starrte auf den Mann, der von sich behauptete, ein Halbgott zu sein. So sehr er sich auch anstrengte, er sah nichts anderes als den fetten, raffgierigen, durchtriebenen Devotionalienhändler, den er seit Jahren kannte und von dem er vermutete, dass hinter der wabbligen, weichen Schale ein raues, hartes Herz schlug. Er sah aus wie immer. Mit der Ausnahme, dass er grünlich leuchtete und etwas gesünder aussah als sonst.
»Bist du sicher? Ich meine, die Geschichte mit dem Ankh und dem Halbgott? Oder ist dir vielleicht beim Beben etwas auf den Kopf gefallen?«, fragte der Schreiber zweifelnd. »Das mit dem Grün kommt vielleicht von den vielen Krokodilhäppchen, die du immer in dich hineinstopfst. Ich weiß da einen guten Heiler, in der Nähe des Horustempels. Der hat schon Nubier gebleicht«, sagte Seshmosis mitfühlend.
Der Dicke seufzte. Langsam hob er den linken Arm und berührte mit dem Ankh einen Ebenholzhocker, der sofort zu treiben begann. Binnen Sekunden wuchsen kleine Ästchen aus dem Möbel, und es bildeten sich grüne Blätter daran.
Seshmosis war beeindruckt. Er begriff. Er begriff ungeheuer schnell. Er begriff so schnell wie noch nie in seinem Leben.
»Holt sofort Arams Leiche aus dem Badehaus!«, befahl er den Dienern. »Bringt sie sofort hierher, auf der Stelle!«
Und an Raffim gewandt, fuhr er fort: »Du weißt, was das bedeutet? Du hast den Schlüssel des Lebens! Du bist der beste Heiler, den Theben je gesehen hat. Ach was, Theben, in ganz Ägypten, ja auf der ganzen Welt hat es so etwas wie dich noch nie gegeben, nicht einmal in der Zeit, als Theben noch Waset hieß!«
»Du meinst, ich bin ein Heiler? Nur ein Heiler? Ich dachte, ich sei nun Halbgott, sei
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