Die Nomadengott-Saga 01 - Der Nomadengott
zurückkehrten.
Kamoses seufzte ein drittes Mal. Er musste den Preis wohl zähneknirschend bezahlen. »In Ordnung, Kalala wird noch heute Theben verlassen. Ruft Warn’keter, den Schiffer, er soll sie und ihre Habe jenseits des zweiten Katerakts an Land setzen und keinen Fuß vorher.«
Nördlich von Theben, auf der Straße nach Gebtu, bewegte sich eine Karawane. Rund zweihundert Menschen, dazu Rinder, Esel, Ziegen, Schafe, einige Pferde und Dutzende von Karren, kurzum die Tajarim waren unterwegs. Es war ein buntes Bild, das sich dem Betrachter in diesen Morgenstunden bot. Manche Karren waren extra für diesen Anlass gezimmert worden. So hatte Zerberuh vier Achsen mit insgesamt acht Rädern unter einen alten Nachen gebaut, sodass er auch auf der Landstraße nicht auf ein Boot verzichten musste. Gezogen wurde das seltsame Gefährt von zwei Eseln. Zerberuh selbst thronte am Heck des Kahns, sodass er sein Hab und Gut stets im Blick hatte.
So einfach war dies für Raffim nicht. Seine Karren und Tiere waren mit Abstand die meisten in der ganzen Karawane, und die Diener Jebul, Jabul und Jubul beäugten jede und jeden, der sich Raffims Besitz mehr als fünf Schritte näherte, voller Misstrauen. Raffim selbst saß auf einem Karren, bejammerte seine anhaltende Appetitlosigkeit und leuchtete selbst in der Morgensonne mit grünlichem Schimmer. Die Spitze des Zuges bildeten Melmak, der stolz neben seinem neuen Stier schritt, Almak, sein Knecht und Ochsentreiber, und Seshmosis.
Seshmosis brauchte keinen eigenen Karren; was er noch besaß, trug er in einem Bündel auf dem Rücken. Er hatte noch dafür gesorgt, dass Shamir, der romantische Bäcker, mit einer besonderen Aufgabe betraut wurde: Er verwahrte die Fünf Heiligen Papyri der Tajarim in seinem Karren: »Die Schöpfungsgeschichte«, »Die Tafel der Väter«, »Das Goldene Zeitalter«, »Die Große Flut« und »Die Kleine Karawane«.
Seshmosis wusste, dass die Fünf Heiligen Papyri bei Shamir so gut aufgehoben waren wie bei keinem anderen und er sie notfalls bis zum letzten Blutstropfen verteidigen würde. Was im Fall von Shamir bedeutete, dass er mit den Papyri unter dem Arm so lange davonlaufen würde, bis ihm die blutige Lunge aus dem Hals hing.
Seshmosis blickte zu dem beeindruckenden Stier, der majestätisch neben Melmak ging. Eigentlich sah es so aus, alle ginge er gar nicht, es war mehr ein Schweben. Und als Seshmosis genauer hinschaute, bemerkte er, dass die Hufe den Boden nur unmerklich berührten, eigentlich gar nicht. Aber das konnte ja wohl nicht sein, dachte er bei sich. Dann wandte er sich an Melmak: »Ein prachtvolles Tier hast du da.«
Melmak reagierte nicht.
»Ich sagte, ein prachtvolles Tier hast du da, Melmak!«, wiederholte Seshmosis etwas lauter.
»Wie, was? Ach so, du meinst den Stier«, murmelte Melmak geistesabwesend.
»Ja, genau diesen Stier meine ich.« Seshmosis wurde immer misstrauischer.
»Habe noch nie so einen Stier in Theben gesehen. Habe überhaupt noch nie so einen Stier gesehen«, mischte sich Almak ein.
»Was hast du schon gesehen?«, giftete Melmak seinen Treiber an. »Du kennst doch nur alte Ochsen und Kühe, die keine Milch mehr geben.«
»Kenne jeden Stier und jede Kuh in Theben. Und der war bis gestern nicht in der Stadt«, schnauzte der Knecht zurück.
»Genau. Bis gestern war er nicht in Theben, und heute ist er es auch nicht mehr.« Melmak war anzumerken, dass er keine Lust auf dieses Thema hatte.
»Woher hast du den Stier, Melmak?«, bohrte Seshmosis weiter.
»Gekauft. Von einem Händler aus Abydos, der gestern in Theben war. Hat mich ein Vermögen gekostet, mindestens ein halbes«, erwiderte Melmak.
»Das ist er sicher wert. Ich meine, ich verstehe nichts von Stieren, aber dass dieser Stier etwas Besonderes ist, erkennt sogar ein Laie wie ich«, lobte Seshmosis versöhnlich.
Melmak sagte nichts mehr und trottete mit eingezogenem Kopf weiter.
»Seshmosis! Seshmosis!!! Raffim will mit dir re den!«, rief Jabul, einer der Diener Raffims, der aus der Mitte des Zuges nach vorn geeilt war. Seshmosis trat ohne Antwort ein paar Schritte beiseite, um zu warten, bis Raffims Protzkarren vorbeikommen würde.
Er ahnte nichts Gutes.
»Steig herauf, unser Führer!«, rief Raffim.
Seshmosis zögerte. Wenn Raffim so anfing, war es schlimmer, als er befürchtet hatte. Dann schwang er sich doch auf den Karren und nahm neben Raffim Platz, dessen Zustand unverändert war.
»Einige von uns würden gern wissen, wohin du
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