Die Nomadengott-Saga 02 - Die Irrfahrer
achäischen Krieger tobten vor Begeisterung. Jeder von ihnen erkannte sich selbst als »Nachtreiter«, der durch die Troas jagte und die Herzen hübscher Mädchen im Sturm eroberte. Dass sie aber im »besten« Fall widerspenstige, versklavte Frauen im Lager vergewaltigten, spielte in ihren Wunschvorstellungen und erotischen Fantasien keine Rolle.
El Vis genoss die frenetischen Beifallsstürme, und als es wieder ruhig wurde, hob er zu sprechen an:
»Männer Griechenlands! Schon lange seid ihr hier in der Fremde und führt ein hartes Leben. Damit ihr eure Mühsal und Sorgen vergessen könnt, wollen wir euch mit unseren Liedern erfreuen. Lasst in diesen Stunden die Musik über den Krieg siegen! Kommt mit auf unsere Reise in friedliche Gefilde! Auch ich bin fern meiner Heimat Ägypten, und auch ich kenne die Sehnsucht. Hört nun ein Lied über eine Frau, die ich einst dort traf. Und glaubt mir, meine Freunde, es war eine ganz besondere Frau!«
Ich betrat einmal eine Taverne und setzte mich vorn an die Bühne.
Der Vorhang öffnete sich, und Fackeln verbreiteten schummriges Licht.
Eine kleine Ägypterin stolzierte heraus und trug nichts als eine Schleife im Haar.
Und sie sang ying-ying, ying-ying, ying-ying, ying-ying.
In ihrem Nabel blitzte ein Rubin und am Zeh ein Diamant.
Dann löste sie ihr Haar und drehte sich tanzend langsam um sich selbst.
Als sie sich lasziv auf dem Zebrafell räkelte, dachte ich, sie würden die Vorstellung abbrechen.
Und sie sang ying-ying, ying-ying, ying-ying, ying-ying.
Sie machte einen dreifachen Salto, und als sie wieder auf dem Boden stand,
winkte sie dem Publikum zu und drehte sich um.
Auf dem Rücken trug die das Tattoo eines Kriegers
und die Worte »Phönix von Theben«.
Nun muss ich euch erzählen, dass die kleine Ägypterin nicht mehr tanzt.
Denn sie ist viel zu beschäftigt mit Putzen und Kochen und Einkaufen
und unsere sieben Kinder halten sie den ganzen Tag auf Trab.
Und sie singt ying-ying, ying-ying, ying-ying, ying-ying.
Die Krieger brachen in Jubelrufe aus, und es dauerte viele Minuten, bis El Vis sein nächstes Lied beginnen konnte. Und dann sang er, bis die Mitternachtsgestirne am Himmel standen.
Nach dem Konzert nahm Kalala ihren Freund energisch am Arm beiseite und sagte vorwurfsvoll: »Das Lied von der kleinen Ägypterin kannte ich noch gar nicht. Ich hoffe, es war nicht deine Rache für meinen Flirt mit Agamemnon, und die Leute denken nun vielleicht, dass das Lied von mir handelt.«
»Aber du stammst doch gar nicht aus Ägypten, meine geliebte Perle Nubiens. Und außerdem haben wir ja noch keine Kinder«, grinste El Vis, umarmte Kalala liebevoll und küsste sie auf den Mund. Dann gingen sie Hand in Hand zu ihrem Quartier an Bord der Gublas Stolz.
*
Lange nachdem die letzten Töne des Konzerts verklungen waren, »eroberten« ein halbes Dutzend betrunkener Achäer das hölzerne Pferd, unter ihnen Neoptolemos und Diomedes. Sie krochen in die verwaiste Bühnendekoration, schlossen die Klappen und legten sich schlafen. Die Unmengen schweren Weins taten ihre Wirkung, denn ihr Schlaf glich mehr einer tiefen Bewusstlosigkeit. So bemerkte keiner von ihnen, dass sich das hölzerne Pferd plötzlich in Bewegung setzte.
Die ungewöhnliche Beleuchtung in der Ebene beim Konzert hatte nämlich etliche trojanische Kundschafter angelockt. Ihr Anführer, ein gewisser Hippolytos, verarmter Adliger und Freizeitpriester des ›Poseidonischen Pferdeordens‹, bekam angesichts des hölzernen Rosses feuchte Augen und einen heftigen Glaubensanfall. Während er in den vergangenen deprimierenden Kriegsjahren immer wieder an Glaubensabfall gelitten hatte, löste der Anblick von El Vis' Bühnendekoration bei ihm einen Zustand religiöser Euphorie aus.
»Es ist ein Zeichen der Götter, Kameraden«, flüsterte er seinen Begleitern zu. »Poseidon selbst ist in diesem Pferd verkörpert. Wir müssen es unbedingt in die Stadt schaffen. Mit diesem Ross wird uns Poseidon zum Sieg verhelfen.«
Und so begann ein Trupp mutiger Trojaner, das ungewöhnliche Objekt in die Stadt zu ziehen.
Ganz in der Nähe fiel Odysseus auf, dass sich das hölzerne Pferd auf einmal wie von selbst durch die Nacht bewegte. Eilig holte er einige seiner Männer herbei; lautlos folgten sie dem Ross, das sich wankend durch die Dunkelheit auf Troja zu bewegte.
Seshmosis schreckte aus dem Schlaf. Als er die Augen öffnete, blickte er in das Gesicht einer Katze, deren Umriss sich
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