Die Nomadengott-Saga 02 - Die Irrfahrer
gewesen, steckte doch viel Tüftelei dahinter. Denn auch Götter haben so ihre Probleme mit technischen Errungenschaften.
Nun stand Aram schon mehr als zwei Stunden einsam vor dem großen, schwarzen Tor, und es wollte und wollte sich nicht öffnen. Dabei war es bei ihm nun schon das dritte Mal, dass er hier auf seine Verhandlung vor dem Großen Gericht warten musste.
Beim ersten Mal hatte ihn Raffim wieder ins Leben zurückgeholt, noch bevor das Tor sich geöffnet hatte, beim zweiten Mal hatte er mit Anubis hier gestanden, und der hatte ihn während der ganzen Prozedur begleitet. Beide Male waren sein Gewissen rein und sein Herz leicht gewesen. Doch nun stand er am Rande des Abgrunds. Beinahe hätte man ihn zum »Gott der Badefreuden« erkoren. Sicher, nur ein geringer Gott, aber immerhin ein Gott. Und jetzt? Wegen seiner Fahrlässigkeit vergaßen Götter, dass sie Götter waren. Konnte es ein schlimmeres Verbrechen geben?
Quietschend und knarrend öffnete sich schließlich das große Tor. Niedergeschlagen und mit gesenktem Blick betrat Aram, flankiert von zwei löwenköpfigen Wächtern, das Gebäude. Bald erreichten sie die große Halle, in der das Gericht tagte.
Aram wagte es, sich vorsichtig umzusehen. Zu seinem Entsetzen führte Osiris persönlich den Vorsitz. Neben ihm standen Thot, Anubis, Month und Seth. Zu deren Füßen warteten gierig die »Verschlingerin der Seelen«, der »Zahnreiche Babi« und etliche der geringeren, wenn auch nicht weniger hungrigen Dämonen auf einen vernichtenden Urteilsspruch. Überrascht stellte Aram fest, dass auch Hathor und Horus dem Gericht beiwohnten. Ohne große Hoffnung ergab er sich seinem Schicksal. Dann ergriff Osiris das Wort:
»Heute steht ein besonderes Verfahren auf der Tagesordnung. Denn wir richten nicht über einen Toten …«
Ein unüberhörbares Räuspern unterbrach den Gott, der unwirsch wissen wollte, warum man es wagte, ihn zu unterbrechen.
Thot deutete auf Aram und erklärte: »Ich möchte darauf hinweisen, dass es sich bei dem Angeklagten durchaus um einen Toten handelt. Er ist sogar schon zweimal gestorben.«
»Gut, dann will ich es anders formulieren«, fuhr Osiris fort. »Der Angeklagte ist kein Neutoter, sondern wurde bereits von diesem Gericht beurteilt. Durch den Einfluss eines Fürsprechers aus unserem Kreise entging er den Verschlingern.« Dabei warf Osiris dem Totengott Anubis einen zornigen Blick zu. Dieser sah aus, als wäre er am liebsten im Boden versunken.
»Doch nun zum Verfahren! Die Anklage übernimmt Seth, die Verteidigung Thot, und als Zeugen sind Month und Anubis geladen; Hathor und Horus sind die Geschädigten. Seth, ich bitte dich um die Anklage.«
»Der Uschebti Aram hat zwei Götter durch seine Tat ihrer Göttlichkeit beraubt. Nur glücklichen Umständen ist es zu verdanken, dass sie wieder unter uns weilen. Ein größeres Verbrechen gibt es nicht! Zu seinen Gunsten spricht nur, dass sein Herr, Anubis, ebenfalls angeklagt werden sollte, weil er die Verantwortung für dieses ruchlose Tun trägt!«
»Thot, gibt es irgendetwas zur Verteidigung dieses Wurms?«, fragte Osiris mit Verachtung in der Stimme. Aram verlor endgültig jede Hoffnung und starrte voll Verzweiflung auf den dämonischen Rachen des »Zahnreichen Babi«, der ihn begierig erwartete.
Thot begann mit seiner Verteidigungsrede. »Nun, Aram wollte nur unser Bestes. Er wollte sich nützlich machen und uns erfreuen. Im Prinzip ist der wahre Schuldige Month mit seiner groben Fahrlässigkeit. Er hätte uns über die Gefahr des Wassers aus dem ›Fluss des Vergessens‹ in Kenntnis setzen müssen. Aram ist nur ein einfacher Uschebti, der seinem Herrn einen Gefallen tun wollte.«
»Genau!«, rief Anubis nun wieder selbstbewusster. »Month ist der eigentliche Schuldige!«
Der falkenköpfige Month hackte mit dem Schnabel wütend in die Luft, bevor er krächzte: »Das ist typisch für diesen Ibiskopf! Alles verdreht er! Ich war überhaupt nicht in Amentet, als mein Fluss unerlaubterweise angezapft wurde. Man hat mir einfach das Wasser abgegraben!«
»Beruhigt euch, und zwar alle!«, rief Osiris genervt dazwischen und hob drohend seine blaue Funken sprühende, bandagierte rechte Hand. »Hathor, bitte berichte du, was der Angeklagte dir angetan hat.«
Hathor, immer noch in Menschengestalt, trat vor und sprach: »Als ich das Bad bestieg, fühlte ich mich zuerst sehr wohl. Doch plötzlich verwirrte sich mein Geist, und ich vergaß, wo ich war und wer ich war. Dann umfing
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