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Die Nomadengott-Saga 02 - Die Irrfahrer

Die Nomadengott-Saga 02 - Die Irrfahrer

Titel: Die Nomadengott-Saga 02 - Die Irrfahrer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Scherm
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vertrauter erschien sie ihm. Wenn er sich doch nur erinnern könnte!
    Die von acht Sklaven getragene Sänfte erreichte die Nekropole, wo bereits viele Gläubige darauf warteten, dem ›Ritual der toten Götter‹ beizuwohnen. Nachdem Hathor und Horus die Sänfte verlassen hatten, orientierten sie sich an dem ungewöhnlichen Ort. Vor ihnen führte eine lange, sanft ansteigende Rampe zu einem schroff aufragenden Berg. Der Weg endete mit einigen Stufen an einem reich verzierten Portal, das anscheinend ins Innere des Felsens führte.
    Eine unübersehbare Menge säumte die Seiten der Rampe, an deren Beginn sich nun die Prozession in Bewegung setzte. Hathor und Horus schritten voran, gefolgt von Hatemhat und Horhernecht, etlichen Priesterinnen und Priestern, begleitet von einem Schwarm Falken. Als sie endlich das Portal erreichten, hielten sie vor dem verschlossenen Tor an. Feierlich öffneten zwei Priester die beiden Flügel, und Horhernecht wandte sich an das Paar.
    »Geht nun hinein und folgt dem Gang. Ihr werdet einen Raum mit steinernen Sarkophagen erreichen. Legt auf jeden einige Samen!«
    Ein Novize reichte den beiden Göttern einen kleinen Beutel.
    Vorsichtig spähte Hathor in den Gang, der von einigen Fackeln sparsam beleuchtet wurde. Auch Horus zögerte, das Innere des Bergs zu betreten.
    »Ihr könnt ruhigen Herzens gehen, das heilige Paar ist noch jedes Jahr wohlbehalten zurückgekehrt«, beruhigte Hatemhat die beiden.
    Horus griff nach Hathors Hand, und gemeinsam betraten sie mutig den Gang. Auch hierhin folgten ihnen merkwürdigerweise etliche Falken.
    Nach einiger Zeit mündete der Gang in einen Raum, in dem zehn Sarkophage standen. Auf jedem ließ sich einer der Falken nieder. Wortlos öffnete Hathor den kleinen Beutel und entnahm einige Samenkörner. Dann reichte sie Horus den Beutel, der das Gleiche tat. Gemeinsam gingen sie von Sarkophag zu Sarkophag und legten einige Körner darauf. Horus sagte feierlich:
    »Wer immer Ihr gewesen sein mögt, wir danken Euch im Namen aller Menschen für Euren Beitrag zur Schöpfung.«
    Nach diesem Dankspruch an die uralten Götter verneigten sich Hathor und Horus vor jedem einzelnen Sarkophag.
    Gerade als sie die Zeremonie beendet hatten, erklang eine Stimme:
    »Namenlos wandelten wir auf Erden, das Werk des Demiurgen zu vollbringen. Namenlos schufen wir alles, was lebt – die Pflanzen, die Tiere, die Menschen und die Götter. Ohne Dank wurde uns das eigene Leben genommen, und namenlos verschwanden wir wieder vom Angesicht der Erde. Alles, was von uns blieb, ist diese Kammer und eine flüchtige Erinnerung. Unser einziger Lohn ist der alljährliche Dank zweier junger Menschen. Doch heute sind die höchsten unserer Kinder zu uns gekommen, und unser Werk hat sich vollendet. Gehet nun hin und feiert freudig eure Hochzeit!«
    Der Raum schien auf einmal viel heller und wärmer.
    Horus nahm Hathor wieder bei der Hand, und sie machten sich auf den Rückweg. Auf den zehn Sarkophagen blieben zehn steinerne Falken zurück.
    Brandender Jubel empfing die beiden Götter bei ihrer Rückkehr ans Tageslicht. Stolz und gemessenen Schrittes gingen sie die Rampe herab und bestiegen die Sänfte, die sie zum großen Horustempel brachte. Dort führte man Hathor und Horus sogleich ins vorbereitete Hochzeitsgemach und ließ sie allein. Die beiden wussten, was die Priesterschaft und das Volk von ihnen erwarteten, und sie waren keineswegs abgeneigt, diese Pflicht zu erfüllen. So ließen sie sich ein auf das uralte Spiel des Lockens und Verweigerns, des Hingebens und Nehmens. Und sie gelangten bis zu jener Sphäre, wo der Mensch zum Tier wird. Oder zum Gott. Erkennen und Erkenntnis erfüllten den kleinen Raum, und gleißendes Licht umhüllte die beiden Gottheiten. Sie verwandelten sich wieder in ihr göttliches Selbst – Hathor zu Hathor und Horus zu Horus.
     
    *
     
    Als die Priester am nächsten Morgen nach den beiden Personifikationen der Gottheiten sehen wollten, waren diese verschwunden. Das prunkvolle Hochzeitsbett war nur noch eine Ruine: das Holz, die Laken und Kissen verbrannt, das goldene Gestell geschmolzen.
    »Diese Wahnsinnigen haben das Bett in Brand gesetzt!«, rief der Oberpriester wutentbrannt.
    Auch bei einer intensiven Suche im ganzen Tempelbezirk konnte man die beiden nicht finden. Hatemhat und Horhernecht waren der festen Überzeugung, dass sich die beiden besten Götterdarsteller aller Zeiten nach einer orgiastischen Nacht heimlich aus dem Staub gemacht hatten.
     

Die

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