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Die Nomadengott-Saga 02 - Die Irrfahrer

Die Nomadengott-Saga 02 - Die Irrfahrer

Titel: Die Nomadengott-Saga 02 - Die Irrfahrer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Scherm
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wie man weiter vorgehen wollte. Glücklicherweise waren alle Ruder unversehrt, sodass man sich wenigstens noch mit Muskelkraft fortbewegen konnte. Die Schiffseigner waren erleichtert, dass es keine weiteren großen Schäden gegeben hatte und auch die Ladung unversehrt geblieben war.
    Seshmosis saß etwas abseits und beobachtete die erschöpften Besatzungsmitglieder, die trotz der Anstrengungen der schrecklichen Nacht mit ersten Reparaturarbeiten begonnen hatten. Auf einmal bemerkte er, dass einer der phönizischen Seeleute fehlte.
    Der Mann war Seshmosis von Anfang an aufgefallen, denn er war sehr blass, hatte weißes, schulterlanges Haar und auffällige rote Augen. Nie zuvor war Seshmosis einem Menschen mit solch einem ungewöhnlichen Aussehen begegnet.
    Mit Entsetzen brachte er nun das Wort »Opfer«, das er in der stürmischen Nacht aufgeschnappt hatte, mit dem verschwundenen Seemann in Verbindung. Konnte es sein, dass die Phönizier diesen seltsamen Mann geopfert hatten, um dem Untergang zu entgehen? Aber Seshmosis' Verstand weigerte sich, diesen Gedanken zu Ende zu denken.
    Uartus Stimme riss ihn aus seinen Grübeleien: »Ich habe keine Ahnung, wo wir sind, Zerberuh. Wir könnten überall sein, nur nicht in der Nähe einer Küste. Wir müssen die Nacht abwarten, damit ich mich an den Sternen orientieren kann. Es macht einfach keinen Sinn, blindlings in eine Richtung zu rudern. Außerdem haben wir heute Nacht im Sturm einen Mann verloren.«
    Man einigte sich darauf, das Schiff treiben zu lassen und die Augen offen zu halten. Die Frühlingssonne schien vom hellblauen Himmel, den kein Wölkchen trübte. Unvorstellbar, dass wenige Stunden zuvor ein schrecklicher Sturm über das Schiff gebraust war.
    Seshmosis trug den Schrein von GON auf das Vorderdeck und bat die Tajarim zur ›Stunde des Dankes‹. Gerade als sich alle versammelt hatten, rief einer der Seeleute: »Land in Sicht! Dort vorne ist Land!«
    Zerberuh befahl sofort, die Ruder ins Wasser zu tauchen, und Uartu steuerte auf die ferne Küstenlinie zu. Bald schon erkannte der erfahrene Steuermann, wo sie waren.
    »Das kann unmöglich sein! Wir waren kurz vor Rhodos, als wir in den Sturm gerieten. Aber das sind eindeutig die Umrisse von Kreta. Seht, die schneebedeckten Gipfel des Gebirges! Das ist unverwechselbar Berekintbos, das ›Weiße Massiv‹! Es ist unfassbar, wir sind da, wo wir hinwollten!«
    »Wir brauchen aber unbedingt einen Hafen, in dem wir gut Handel treiben können«, forderte Raffim energisch.
    »Erst einmal brauchen wir überhaupt einen Hafen, um überleben zu können!«, wies ihn Uartu zurecht. »Es ist genug, dass einer von uns sein Leben lassen musste.«
    Durch einen Unfall oder durch ein Opfermesser?, fragte sich Seshmosis. Trotz der widrigen Umstände und des rätselhaften Todes des Seemanns freute er sich darauf, bald wieder festen Boden unter den Füßen zu haben.
    Die Ruderer legten sich mächtig ins Zeug, und so erreichten sie die Insel noch vor Einbruch der Dunkelheit.
     
    *
     
    Als ehemaliger Leiter des Badehauses zu Theben empfand Aram Gestank schon rein beruflich als widerwärtig. Sein Geruchssinn war auch nach seinem mehrmaligen Ableben immer noch sensibilisiert für Wohlgerüche, Duftwässer und erlesene Essenzen. Mit stinkendem Hornvieh zusammenleben zu müssen, erschien ihm zunächst als die größte Strafe. Doch das Stierkalb stank nicht. Ganz im Gegenteil. Wenn Aram sein gut ausgebildetes Riechorgan in das samtweiche, goldene Fell des göttlichen Tieres steckte, genoss er sogar dessen Geruch.
    Seit ihrer Ankunft auf Kreta war die Sonne dreimal aufgegangen. Die ägyptischen Götter hatten Aram und das Kalb auf halber Höhe eines steilen Berghangs abgesetzt, wo die beiden eine kleine steinerne Hütte als Unterkunft vorfanden. Mensch und Tier mussten sich einen einzigen Raum teilen. Entgegen der Bedenken Arams funktionierte das Zusammenleben ganz gut. Das Stierkälbchen war sanft wie ein Lamm und sehr anhänglich. Wenn er sich des Nachts auf seine Pritsche legte, lagerte der kleine Stier direkt neben ihm auf dem gestampften Fußboden. Er konnte zwar nicht sprechen, doch Aram stellte fest, dass er jedes seiner Worte zu verstehen schien.
    In der wunderbaren, einsamen Berglandschaft und in Gegenwart des Kälbchens vergaß Aram sogar zeitweise, dass er tot war. Oder besser ausgedrückt: untot.
    Jeden Morgen ging er mit dem Goldenen Kalb hinaus auf die Bergwiesen, wo es zufrieden graste. Aram genoss nach all der Aufregung in

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