Die Nomadengott-Saga 02 - Die Irrfahrer
üblichen aus Bronze an Härte und Durchschlagskraft weit überlegen waren. Das Eisen, das mit den Meteoren von den Sternen kam, brachte auf der Erde den sicheren Tod. Und Raffim versteckte unter den Planken der Gublas Stolz mehr Gold, als er jemals gesehen, geschweige denn besessen hatte.
Homeros und Seshmosis tranken in der Hütte des Dichters mit Wasser verdünnten Wein.
»Siehst du, mein Freund, so geht dies nun schon fast zehn Jahre. Sie zerfleischen sich gegenseitig, und dann gibt es wieder eine Waffenruhe. Die Krieger beider Seiten lecken sich die Wunden, schaffen Vorräte heran, erholen sich, und dann geht es wieder von vorne los«, erklärte Homeros.
»Herrscht denn im Augenblick wirklich Ruhe?«, fragte Seshmosis aufgeregt.
»Ja, bis der nächste Anführer in einen Heldenrausch fällt und eine Schlacht anzettelt.«
»Dann muss ich die Zeit nutzen, ich muss sofort nach Troja!«
»Du willst nach Troja?« Homeros sah Seshmosis entgeistert an. »Was, um aller Götter willen, hast du denn in Troja zu schaffen?«
»Es ist nicht um der Götter willen, es ist um eines, meines Gottes willen. Er befahl mir, die Seherin Kassandra zu treffen.«
»Unergründlich sind auch die Ratschlüsse fremder Götter«, bekundete Homeros. »Dann bleibt mir nur, dir viel Glück und eine gesunde Rückkehr zu wünschen! Ich brauche dich nämlich noch.«
*
Seshmosis ging zuversichtlich zur Gublas Stolz. Und er wurde nicht enttäuscht. Raffim erklärte sich sofort bereit mitzugehen, weil er mit seinem Sortiment sowieso auf den Markt von Troja wollte. Natürlich begleiteten ihn seine Diener Jabul, Jebul und Jubul zum Schutz und als Träger seiner Waren. Auch Barsil und Mani packten einige erlesene Stücke aus ihrem Angebot ein, um sie den Trojanern zu verkaufen. Nostr'tut-Amus zeigte sich begierig, seine berühmte Kollegin Kassandra kennenzulernen, und schloss sich ihnen ebenfalls an.
Die anderen, allen voran Kalala und El Vis, verspürten keine Lust, die relative Sicherheit an Bord des Schiffes und im kleinen Lager für einen Ausflug in eine belagerte, ständig umkämpfte Stadt aufzugeben.
Gerade als die Gruppe aufbrechen wollte, hörte Seshmosis eine innere Stimme: Nimm einen Ledersack mit!
Stumm fragte der Schreiber: Und was soll ich hineintun, Herr?
»Nichts!«, erwiderte die tonlose Stimme. »Wage es nicht, irgendetwas in den Sack zu stecken. Denn ich werde darin sein und dich begleiten.«
An der Furt über den Skamander trafen sie auf Mursil und Metin, die am diesseitigen Ufer ihren Imbissstand aufgebaut hatten. Sie boten Kriegern beider Seiten, die mit dem Einsammeln von Waffen und Ausrüstungen gefallener Kameraden beschäftigt waren, Gyros oder Döner an, je nach politischer Zugehörigkeit. Auf Raffims Drängen bestellten sich auch die Tajarim eine stärkende Wegzehrung.
»Wenn du schon mit allem anbietest, solltest du auch Oliven dazugeben!«, maulte Raffim den Hethiter an. »Und mach mir gleich vier von diesen Klappbroten, sonst bin ich bis Troja verhungert!«
Während Mursil das Essen zubereitete, beobachtete Seshmosis den stummen Knaben, der geistesabwesend den Lammspieß drehte. Die dunklen, traurigen Augen des Jungen erzählten eine eigene Geschichte. Der Knabe war mit Sicherheit keine einfache Kriegswaise und von größerer Bedeutung, als Mursil vorgab.
Als Seshmosis Mursil fragte, ob er ihm vielleicht sagen könne, wo in Troja die Seherin Kassandra zu finden sei, zuckte Metin merklich zusammen und hielt seinen Drehspieß kurz an. Seshmosis registrierte dies und war sich insgeheim sicher, dass der Junge ein Geheimnis in sich trug.
Mursil gab Seshmosis den Rat, am besten im Palast des Priamos nach der Prinzessin Kassandra zu fragen.
Daraufhin gingen die Tajarim weiter durch die Ebene und erreichten schließlich das westlich gelegene Skäische Tor. Vier grimmig dreinblickende Krieger musterten sie misstrauisch und fragten nach ihrem Begehr.
Raffim übernahm die Verhandlungen mit den Wachen. Man durfte den großen, übergewichtigen Mann auf keinen Fall unterschätzen. Zwar bekam er schon bei Vollmond Schweißausbrüche, und jeder, der ihn sah, hielt ihn für plump und ungelenk, doch das täuschte. Das täuschte sehr! Schon die Krokodile in Theben hatten diese Erfahrung machen müssen, als er ihnen Tränen abgepresst, diese in Gold und Silber gefasst und als Amulette verkauft hatte. Einen Mann, der Krokodile zum Weinen bringen konnte, sollte ein Mensch tunlichst nicht
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